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Anzeigepflicht in
der Altenpflege / Entlastungsanzeige
Selbst unter widrigsten Umständen geben
Pflegekräfte stets ihr Bestes, um Bewohner und Patienten so gut
wie möglich zu versorgen. Doch wer haftet, wenn es wegen
gefährlicher Pflege zum Unfall kommt? Die Pflegekraft, die
Pflegedienstleitung oder der Träger? Die aktuelle Rechtsprechung
zeigt: Im Zweifel zahlt, wer sich am schlechtesten abgesichert
hat.
Eine Pflegekraft hat das Recht und die
Pflicht, ihren Vorgesetzten über Mängel zu informieren, die das
Leben oder die Gesundheit von Bewohnern oder Mitarbeitern
gefährden ("Entlastungsanzeige"). Dazu zählt auch die Pflicht,
alle Anweisungen zu verweigern, die für andere Menschen ein
derartiges Risiko bedeuten. Die Pflicht besteht nicht nur
gegenüber direkten Vorgesetzten, sondern auch gegenüber Ärzten.
Vor allem in vier Bereichen kann eine solche
Entlastungsanzeige erfolgen:
-
im Bewohnerbereich
-
im Mitarbeiterbereich
-
im Bereich der Arbeitsorganisation
-
im Bereich der Infrastruktur und
(technischen) Ausstattung
Eine Mängelmeldung (häufig auch "Remonstration"
genannt) muss unverzüglich, wahrheitsgemäß und vollständig
erfolgen. "Rechtzeitig" bedeutet in diesem Fall, nicht zu
warten, bis das "Kind in den Brunnen" gefallen ist. Eine Meldung
hat bereits dann zu erfolgen, wenn sich entsprechend bedenkliche
Situationen ankündigen. Unterbleibt die Meldung, trifft die
Pflegekraft ein Übernahmeverschulden.
Kein sachlicher Grund für eine
Entlastungsanzeige liegt vor, wenn die Missstände im eigenen
Entscheidungsbereich liegen. Beispiel: Eine Pflegedienstleitung
meldet, dass in einem Wohnbereich das notwendige Personal fehlt.
Gleichzeitig hätte sie die Möglichkeit, einige Mitarbeiter aus
der Freizeit in die Einrichtung zu rufen.
In der Praxis gibt es immer wieder Fälle,
in denen Pflegekräfte wegen falsch verstandener Loyalität und
Pflichtgefühl letztlich für Missstände gerade stehen müssen, die
sie selbst nicht oder nur zum Teil zu verantworten haben:
-
Eine Pflegekraft ist wegen eines
überdehnten Fußgelenks krankgeschrieben. Wegen
Personalmangels meldet sich die Pflegedienstleitung bei der
Mitarbeiterin mit der dringenden Bitte, im Wohnbereich
mitzuhelfen. Die Pflegekraft willigt aus Pflichtgefühl ein.
Beim Transfer aus dem Bett ist sie nicht in der Lage, den
Bewohner korrekt zu unterstützen. Dieser stürzt und bricht
sich den Oberschenkelhals.
-
Eine Nachtwache wird in der
Urlaubszeit dazu eingeteilt, zwei Wohnbereiche allein zu
versorgen. Normalerweise sind dafür zwei Kräfte notwendig.
Drei Nächte lang gibt es keine besonderen Vorkommnisse. In
der vierten Nacht klingelt ein Bewohner aus dem Wohnbereich
A, während sich die Nachtwache im Wohnbereich B befindet.
Nach einiger Zeit verliert der Bewohner die Geduld, steht
ohne Hilfe auf und stürzt auf dem Weg zur Toilette.
-
Der behandelnde Hausarzt verschreibt
einem Bewohner ein Medikament. Die Pflegekraft wendet ein,
dass der Wirkstoff bei dem Bewohner starke Atemnot
verursacht. Der Arzt bleibt bei seiner Verschreibung und
weist die Pflegekraft an, das Medikament zweimal täglich zu
verabreichen. Einige Stunden nachdem die Pflegekraft dem
Bewohner das Medikament gegeben hat verstirbt dieser.
-
Eine Pflegedienstleitung bemerkt,
dass eine ihr unterstellte Pflegekraft mehrfach
alkoholisiert zum Dienst erscheint. Aus Mitgefühl meldet sie
weder den Verstoß noch schickt sie den Mitarbeiter nach
Hause. In der Folge wird ein Apoplexie-Patient zu heiß
gebadet.
-
Eine Pflegedienstleitung stellt fest,
dass ihre Mitarbeiter immer mehr Überstunden und Mehrarbeit
ableisten müssen. Die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit
sinkt, Pflegemaßnahmen und Prophylaxen können nicht mehr in
der notwendigen Form und Häufigkeit erbracht werden.
-
Ein Bewohner wird zunehmend
aggressiv. Dieser ist dementiell erkrankt, körperlich
allerdings kaum eingeschränkt. Die Pflegedienstleitung sieht
zwar die Gefahr, die von dem Bewohner ausgeht, unterlässt es
aber, den Hausarzt um die Einweisung in ein psychiatrisches
Krankenhaus zu bitten.
-
Eine Wohnbereichsleitung sieht, wie
ein Kollege Medikamente aus dem Medikamentenschrank für
private Zwecke entnimmt. Da sie nicht als Denunziant
dastehen möchte, stellt sie den Mitarbeiter zwar zur Rede,
unterlässt aber eine Meldung. Die Diebstähle gehen in der
Folge weiter.
Für die Meldung als solche gibt es zwar
keinen Formzwang, es empfiehlt sich aber, diese schriftlich
einzureichen. Wenn zu befürchten ist, dass die Vorgesetzten
später den Erhalt der Nachricht leugnen könnten, sollte
zusätzlich ein Zeuge anwesend sein. Eine Kopie des Schreibens
bleibt beim Mitarbeiter.
Eine solche Meldung bedeutet für den
Mitarbeiter eine wirksame Absicherung. Das Problem: Der
Vorgesetzte kann stets darauf vertrauen, dass der Mitarbeiter
ihn im Falle von Problemen rechtzeitig in Kenntnis setzt. Soll
heißen: Solange der Vorgesetzte nicht offiziell über Missstände
und Auffälligkeiten im Wohnbereich informiert wurde, kann dieser
behaupten, von allem nichts gewusst zu haben. Der schwarze Peter
liegt dann beim Mitarbeiter.
Um sich abzusichern, gehen viele
Wohnbereichs- und Pflegedienstleitungen sogar noch einen Schritt
weiter. Sie fassen alle wichtigen Punkte einmal pro Woche in
einem Bericht zusammen, der dann per Hauspost an den Träger
geht. Insbesondere in Einrichtungen, deren Versorgung im
Grenzbereich zur gefährlichen Pflege liegt, ist dieses (leider)
unverzichtbar.
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