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Standard "Pflege von Bewohnern mit akutem Abdomen"

"Akutes Abdomen = Notarzt rufen". Diese im Prinzip recht einfache Faustregel zeigt in der Altenpflege ihre Schwächen. Denn was tun, wenn der betroffene Senior unter einer schweren Demenz leidet und sich kaum verständlich machen kann? Oder aufgrund anderer Krankheiten starke Analgetika erhält, die auch den abdominalen Schmerz dämpfen? Ein guter Standard gibt Pflegekräften trotz Hektik eine sichere Orientierung.


Standard "Pflege von Bewohnern mit akutem Abdomen"


Definition:

  • Der Begriff "akutes Abdomen" fasst alle plötzlich auftretenden Schmerzen im Bauchraum zusammen, die so intensiv sind, dass eine sofortige ärztliche Diagnostik und ggf. eine Therapie erforderlich sind.
  • Verschiedenste Erkrankungen können ein akutes Abdomen verursachen, einige davon sind vergleichsweise harmlos, andere lebensbedrohlich. Es ist daher wichtig, dass ein Arzt zeitnah den Auslöser findet. Bis zu dieser Diagnosestellung ist sicherheitshalber stets vom schlimmsten Fall auszugehen und entsprechend zu handeln.
  • In der Altenpflege wird eine zügige Versorgung von betroffenen Senioren durch verschiedene Faktoren erschwert. Einige Betroffene haben nur geringe Beschwerden, etwa weil aufgrund einer Neuropathie bei Diabetes mellitus das Schmerzempfinden gestört ist. Andere Senioren spüren zwar den Schmerz, können sich aber als Folge einer fortgeschrittenen Demenz nicht mehr verständlich machen. Fieber als wichtiger Indikator tritt seltener auf, da die Immunabwehr alter Menschen häufig geschwächt ist.
  • Mitunter wird der Notfall als Verwirrtheitszustand fehlinterpretiert. Dieses ist zunächst naheliegend, da das Gehirn bei einem einsetzenden Schockgeschehen schlechter durchblutet wird und in der Folge Funktionsstörungen auftreten, wie sie auch bei Demenz üblich sind. In diesen Fällen ist es entscheidend, dass Pflegekräfte über eine geschulte Beobachtungsgabe verfügen, um Verhaltensänderungen oder körperliche Auffälligkeiten schnell und korrekt zu deuten.
Typische Auslöser für ein akutes Abdomen sind:
  • akute Entzündungen wie etwa:
    • der Gallenblase (Cholezystitis)
    • des Peritoneums (Peritonitis; "Bauchfellentzündung")
    • des Pankreas (Pankreatitis)
    • des Wurmfortsatzes (Appendizitis)
    • der Wand eines Divertikels (Divertikulitis)
  • Nierenkolik, Gallenkolik, Eingeweidebruch mit sackartiger Ausstülpung des parietalen Bauchfells (Hernie), Verschluss eines Hohlorgans (z.B. tumorbedingte Darmlähmung oder Darmverschluss), Verwachsungen nach früheren Operationen
  • Perforationen, wie etwa Magenulkus
  • Blutungen, etwa bei Milzruptur
  • Durchblutungsstörungen, etwa akuter Mesenterialinfarkt
  • Vergiftungen
  • Nebenwirkungen von Medikamenten
  • Folgen eines Sturzes; insbesondere bei einem stumpfen Bauchtrauma
  • Aortenaneurysmen
  • akuter Harnverhalt
  • erhöhte Konzentration von Glukose im Serum (Hyperglykämie), terminale Niereninsuffizienz (Urämie), Störung der Biosynthese von Häm (Porphyrie), maligne Erkrankung des blutbildenden Systems (Leukämie)
  • Als Auslöser kommen auch Erkrankungen infrage, die nicht im Abdomen lokalisiert sind, sondern deren Schmerzbelastung in den Bauchraum ausstrahlt:
    • Myokardinfarkt (Herzinfarkt), Entzündung des Perikards (Perikarditis),
    • Entzündung des Lungenparenchyms (Pneumonie), Brustfellentzündung (Pleuritis), Ansammlung von Luft im Pleuraraum (Pneumothorax), Verschluss der arteriellen Lungenstrombahn (Lungenembolie)
    • Bandscheibenvorfall, andere Erkrankungen der Wirbelsäule
    • Hodentorsion
    • Gynäkologische Erkrankungen
Die genaue Lokalisierung des Schmerzes erleichtert die Suche nach der Ursache.

Auslöser im Abdomen:

  • 3 und 6: Appendizitis (Entzündung des Wurmfortsatzes des Blinddarms)
  • 4: Divertikulitis (entzündliche Erkrankung des Dickdarmes)
  • 1 bis 4: Kolitis (Darmentzündung)
  • 1: Cholezystitis (Gallenblasenentzündung)
  • 2 und 6: Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung)
  • Abszess (umkapselte Eiteransammlung)
  • 2 und 5: Perforiertes Ulcus ventriculi
  • 1 und 2: Perforiertes Ulcus duodeni
  • Eingeklemmte Hernien (Eingeweidebruch), etwa:
  • 5: Hiatushernie ("Zwerchfellbruch")
  • 3 und 4: Leistenhernie ("Leistenbruch")
  • Tumore mit Ileus (Verschluss des Darms)
  • 1: Eingeklemmte Gallensteine
  • 1 und 2: Nierensteine
  • 3 und 4: Harnleitersteine
  • 1: Leberruptur (Verletzung der Leber)
  • 2: Milzruptur (Verletzung der Milz)
  • 6: Mesenterialinfarkt (Verschluss eines Darmgefäßes)
  • 6: Aortenaneurysma (Aussackung der Hauptschlagader)
Gynäkologische Auslöser
  • 3 und 4: Adnexitis (Entzündung von Eileiter und des Eierstocks)
  • 3 und 4: Extrauteringravidität (Eileiterschwangerschaft)
Störungen des Stoffwechselsystems:
  • Diabetische Ketoazidose (Stoffwechselentgleisung)
Auslöser im Thoraxbereich:
  • 2 und 5: Myokardinfarkt ("Herzinfarkt")
  • 1 und 2: Pneumonie ("Lungenentzündung")

Grundsätze:

  • Wenn hinreichende Anzeichen für ein akutes Abdomen sprechen, wird immer ein Notarzt gerufen. Die Folgen eines oder ggf. auch mehrerer Fehlalarme wiegen weniger schwer als eine verzögerte Behandlung bei einem echten Notfall.
  • Der Notruf erfolgt auch dann, wenn der Bewohner diesen nicht wünscht, etwa weil er die Gefährdung nicht korrekt einschätzt.
  • Bei einem akuten Abdomen geht es zwar oftmals um Minuten, dennoch dürfen Maßnahmen nicht überhastet werden.
  • Die schriftliche Patientenverfügung wird beachtet, insbesondere bei einer Reanimation.

Ziele:

  • Ein akutes Abdomen wird schnell erkannt.
  • Bis zum Eintreffen des Notarztes wird der Bewohner korrekt versorgt.
  • Der Bewohner erleidet keine unnötigen Schmerzen.

Vorbereitung:

allgemeine Maßnahmen:

  • Die richtigen Maßnahmen bei einem akuten Abdomen werden regelmäßig im Rahmen der Erste-Hilfe-Ausbildung thematisiert.
  • Wir halten stets aktuelle Fachliteratur zu diesem Thema bereit.

Symptome:

Wir achten auf Symptome, die auf ein akutes Abdomen schließen lassen. Wir beachten, dass bei alten Menschen die Symptomatik häufig schwächer ausfallen kann als bei Jüngeren. Es droht die Gefahr, eine akute Gefahrenlage zu übersehen. primäre Symptome:

  • schweres Krankheitsgefühl verbunden mit einer deutlichen Verschlechterung des Allgemeinzustandes
  • akut auftretende und sehr heftige Bauchschmerzen; sowohl kolikartig als auch als Dauerschmerz
  • abdominale (muskuläre) Abwehrspannung
  • aufgetriebener Bauch
  • Schocksymptome
  • Kollapsneigung
  • Erbrechen; vor allem Koterbrechen
(Bei Senioren können abhängig vom Auslöser verschiedene Reaktionen beobachtet werden. Manche Betroffene bewegen sich unruhig im Bett und krümmen sich aufgrund der Beschwerden. Andere liegen regungslos in Rückenlage und vermeiden jede unnötige Bewegung.) sekundäre Symptome:
  • Durchfall
  • Verstopfung
  • Unruhe
  • Kaltschweißigkeit
  • eingefallene Gesichtszüge
  • Veränderung der Hautfarbe hin zur Marmorierung oder Blässe
  • Angstzustände
  • Stuhl- und Darmgasverhalt
  • Verschlechterung des Allgemeinzustandes
  • Fieber
  • Exsikkose
  • Herzrhythmusstörung mit einem Anstieg der Herzfrequenz auf über 100/min (Tachykardie)
  • sinkender Blutdruck
Weiteres:
  • Bei Bewohnern mit einer Neuropathie, etwa in Folge eines Diabetes mellitus, kann das Schmerzempfinden deutlich herabgesetzt sein.
  • Bei demenziell verwirrten Bewohnern kann ein akutes Abdomen zumindest in der Anfangsphase leicht mit einem Verwirrungszustand verwechselt werden.
  • Mit einem Stethoskop kann eine Änderung der Darmperistaltik erkannt werden, etwa durch ein ("metallenes") Glucksen oder andere ungewöhnliche Geräusche. Oder die Darmgeräusche fehlen komplett, etwa bei einer Darmlähmung.
  • Das Beklopfen der Bauchdecke muss vorsichtig geschehen. Wenn der Bewohner schon bei leichten Berührungen Schmerzen hat, ist dieses ein Anzeichen für eine Peritonitis ("Bauchfellentzündung"). Es besteht dann Lebensgefahr.

Durchführung:

pflegerische Maßnahmen:

  • Die Pflegekraft löst über die Rufanlage Alarm aus und ruft weitere Kollegen herbei.
  • Eine Pflegekraft alarmiert den Notarzt.
  • Eine Pflegekraft bleibt permanent beim Bewohner. Der Bewohner wird (soweit möglich) beruhigt.
(Hinweis: Wenn nur eine Pflegekraft vor Ort ist, muss diese den Notruf schnellstmöglich absetzen. Es darf in der Hektik aber nicht dazu kommen, dass wichtige Informationen nicht an die Notrufstelle übermittelt werden.)
  • Der Bewohner wird ins Bett gebracht. Dort soll er bleiben. (Ausnahme: Bei einer Nierenkolik reduziert ggf. das Umhergehen die Schmerzbelastung.)
  • Die Kniekehlen werden mit Unterlagen unterstützt, um damit den Bauch zu entlasten.
  • Ggf. wird der Oberkörper leicht erhöht gelagert.
  • Ggf. wird der Bewohner beim Erbrechen unterstützt. Wir reichen ihm dafür eine Nierenschale und Zellstoff. Falls der Mund ausgespült wird, stellen wir sicher, dass der Bewohner kein Wasser trinkt.
  • Ggf. wird der Bewohner bei den Ausscheidungen im Bett unterstützt.
  • Bei Bewusstlosigkeit wird der Bewohner in eine stabile Seitenlage gebracht.
  • Einengende Kleidung wird gelockert oder entfernt. Falls notwendig erhält der Bewohner Sauerstoff.
  • Wir messen Puls, Blutdruck und Körpertemperatur. Die Erfassung von Puls und Blutdruck wird in kurzen Abständen bis zum Eintreffen des Notarztes wiederholt.
  • Wir fordern den Bewohner auf, ruhig und tief zu atmen. Die Atmung wird engmaschig überprüft. Ggf. atmet die Pflegekraft gemeinsam mit dem Bewohner.
  • Falls nötig wird die Harnblase schrittweise mittels Katheterisierung entleert.
  • Bei Ankunft des Rettungstransportwagens und des Notarztes wird der Arzt ausführlich eingewiesen.
  • Die Dokumente werden übergeben.
  • Alle weiteren im Standard "Krankenhauseinweisung" beschriebenen Maßnahmen werden umgesetzt.
  • Ggf. begleitet eine Pflegekraft, bevorzugt die Bezugspflegekraft, den Bewohner mit in das Krankenhaus.

Informationssammlung:

Wir stellen für den Notarzt alle Informationen zusammen, die für die Diagnose und die Therapie relevant sein könnten:

  • Erstes Auftreten der Beschwerden
  • Allgemeinzustand des Bewohners
  • Vitalzeichen
  • Stuhlgang und Miktion
  • Atemnot
  • Anzeichen für eine Kreislaufzentralisierung (kühle und blasse Extremitäten)
  • Umstände und Zeitpunkt des Schmerzbeginns
  • Charakter des Schmerzes
    • drückend
    • zunehmend
    • an- und abschwellend
    • gleich bleibend
    • dumpf
    • stechend
    • schneidend
    • brennend
    • ausstrahlend
    • krampfartig
    • kolikartig
    • ziehend
    • als Reaktion auf Druck
    • abhängig von Bewegung
    • abhängig von der Nahrungsaufnahme?
  • Ursprungsort des Schmerzes und Bereiche, in die er ausstrahlt
(Hinweis: Je nach Auslöser des akuten Abdomens sind die Beschwerden eher diffus oder an einer bestimmten Stelle lokalisiert. Auch die Art des Schmerzes, etwaiges Ab- oder Zunehmen, Abstrahlen usw. erlaubt Rückschlüsse auf den Verursacher.)
  • Übelkeit, Erbrechen
  • Aufstoßen
  • Darmgeräusche
  • fehlende Darmgeräusche
  • Durchfall
  • vorhergehende ähnliche Erkrankungen
  • bekannte Erkrankungen der Geschlechtsorgane
  • bekannte Herzerkrankungen
  • vorherige operative Eingriffe im Bauchraum
  • Zeitpunkt, Art und Umfang der letzten Mahlzeit
  • regelmäßig eingenommene Medikamente
  • ggf. vorangegangener Sturz
Soweit vorhanden werden die letzten Ausscheidungen (Urin, Stuhl, Erbrochenes) aufbewahrt und dem Notarzt gezeigt. Wichtig ist immer auch zu prüfen, ob es in den vergangenen Tagen Beobachtungen gab, denen zunächst keine Beachtung geschenkt wurde, die nun aber relevant sein könnten. Beispiel: Der Bewohner hatte in den vergangenen Tagen weniger Appetit als üblich. Oder er klagt seit einer Woche über "Magengrummeln".

kontraindizierte Maßnahmen:

Verschiedene Maßnahmen müssen unbedingt unterbleiben:

  • Der Bewohner erhält unter keinen Umständen ein Schmerzmittel. Wir raten ihm dringend von jeder Form der Selbstmedikation ab.
  • Analgetika würden die ärztliche Diagnostik massiv stören. Streng kontraindiziert sind insbesondere alle Opiate.
  • Wir sagen dem Bewohner zu, dass er Schmerzmittel sofort erhält, nachdem der Verursacher gefunden wurde.
  • Der Bewohner erhält weder Lebensmittel noch Flüssigkeit. Auch bei einer Exsikkose darf der Bewohner zunächst nicht trinken, da eine Operation erforderlich sein könnte.
  • Es werden keine abführenden Maßnahmen eingeleitet; insbesondere keine Einläufe.

Nachbereitung:

nach Abfahrt des Bewohners im Rettungswagen:

  • Das Ereignis wird sorgfältig dokumentiert.
  • Die Pflegedienstleitung und die Heimleitung werden (sofern noch nicht geschehen) informiert.
  • Ggf. werden die Angehörigen informiert.

Ausblick:

  • Die meisten Krankheiten, die ein akutes Abdomen auslösen, sind zeitkritisch. Wenn also frühzeitig ein Notarzt gerufen wird, hat der Bewohner bessere Chancen, dass ihm Folgeschäden erspart bleiben.
  • In neun von zehn Fällen ist ein chirurgischer Eingriff notwendig.
  • Wenn bereits eine ausgedehnte Entzündung des Bauchraumes vorliegt, steigt die Sterblichkeit auf rund 50 Prozent.

Dokumente:

  • Berichtsblatt
  • Vitaldatenblatt
  • Medikamentenblatt

Verantwortlichkeit / Qualifikation:

  • alle Pflegekräfte