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Notfallstandard "Unterzuckerung (Hypoglykämie)"
Wenn
ein Diabetespatient bewusstlos am Boden liegt, müssen Pflegekräfte
schnell die richtigen Entscheidungen treffen. Hyperosmolares Koma
oder Unterzuckerung? Insulin, Glukagon oder doch lieber auf den Notarzt warten?
Eine überhastete Entscheidung kann für den betroffenen Senioren
tödliche Folgen haben.
Notfallstandard "Unterzuckerung (Hypoglykämie)"
Definition:
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Unterzuckerung kann bei allen Menschen
auftreten, die zu wenig Kohlenhydrate zu sich nehmen oder körperlich
sehr aktiv sind. Bei gesunden und jungen Menschen sind solche Zustände
i.d.R. harmlos, da der Betroffene den Glukosemangel frühzeitig spürt.
Eine gute körperliche Konstitution hilft zudem, auch bei
Unterzuckerungszuständen lange handlungsfähig zu bleiben. Es ist somit
genug Zeit, um das Defizit durch Nahrungsaufnahme zu kompensieren.
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Bei vielen Senioren sind diese
Schutzmechanismen beeinträchtigt. Sie spüren oft weder den Hunger noch
die Unterzuckerung. Wenn der Betroffene an Diabetes mellitus erkrankt
ist und Insulin erhält, kann der Blutzuckergehalt binnen weniger
Minuten so deutlich fallen, dass eine Desorientierung und eine Ohnmacht
einsetzen. Ohne Hilfe durch Dritte tritt dann schnell ein
lebensbedrohlicher Zustand ein.
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Als Grenzwert für eine Unterzuckerung gilt ein
Blutzuckerwert von unter 50 ml/dl (2,8 mmol/l). Es zeigen sich dann
erste vegetative Veränderungen und Verhaltensauffälligkeiten. Die
Handlungsfähigkeit bleibt jedoch erhalten. Ab 40 mg/dl (2,2 mmol/l)
kommt es zu Bewusstseinsstörungen und zu neurologischen Ausfällen. Die
Handlungsfähigkeit geht schrittweise verloren.
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Auch bei Nicht-Diabetikern kann es zu schweren
Unterzuckerungen kommen. Etwa bei Leber- oder bei
Nierenfunktionsstörungen, bei Alkoholvergiftungen, bei Darmerkrankungen
oder bei Morbus Crohn.
Grundsätze:
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Eine Unterzuckerung ist i.d.R. vermeidbar.
Daher ist es wichtig, nach einer Hypoglykämie die Auslöser konsequent
aufzuarbeiten. Wenn die Ursachenforschung unterbleibt, ist es nur eine
Frage der Zeit, bis der nächste Unterzuckerungszustand auftritt. Dann
jedoch mit ggf. gravierenderen Gesundheitsfolgen.
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Aus dem Beobachten der Symptome kann niemals
sicher auf den Auslöser geschlossen werden. Nur das Messen des
Blutzuckerwertes schafft Sicherheit.
Ziele:
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Eine Unterzuckerung wird vermieden.
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Der Bewohner wird in die Lage versetzt, auf eine sich entwickelnde Unterzuckerung richtig zu reagieren.
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Tritt dennoch eine Notlage ein, wird diese korrekt und zeitnah von den Pflegekräften erkannt.
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Die gesundheitlichen Folgen einer Hypoglykämie werden minimiert.
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Wir ziehen aus jeder Notsituation die richtigen Schlüsse und reduzieren damit das Risiko einer Wiederholung
Vorbereitung:
allgemeine Maßnahmen
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Wir sensibilisieren den Diabeteskranken für die
Symptome einer nahenden Entgleisung. (Hinweis: Das Erkennen der eigenen
individuellen Unterzuckerungssymptome ist auch Bestandteil der
Diabetesschulung, die jeder Erkrankte erhalten sollte.)
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Wir informieren die Angehörigen über Symptome
und weisen diese in Notfallmaßnahmen ein, damit diese etwa beim
Spazierengehen angemessen reagieren können.
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Gefährdete Bewohner sollten stets Traubenzucker bei sich tragen.
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Stark gefährdete Senioren sollten eine
SOS-Kette sowie ein Notfallset bei sich tragen (Sicherheits-Lanzetten,
Blutzuckerteststreifen, Farbkarte zum Ablesen des BZ, Alkoholtupfer,
Papiertücher zum Säubern, Beutel mit Flüssigzucker usw.).
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Wir bremsen Bewohner, die besonders
"ehrgeizige" Blutzuckerwerte anstreben und somit leicht in einen
Zustand der Hypoglykämie geraten können.
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Wir bilden unsere Pflegekräfte regelmäßig zum Thema Diabetes fort und halten aktuelle Fachliteratur bereit.
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Wir suchen den Kontakt mit dem Hausarzt. Wir
bitten um detaillierte Instruktionen, welche besonderen Maßnahmen bei
einer Entgleisung durchzuführen sind und welche Kontraindikationen
bestehen.
Riskoermittlung
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Wir prüfen, welche Risikofaktoren für die
Entwicklung einer Hypoglykämie vorliegen. Soweit möglich, sollten diese
abgebaut oder kompensiert werden.
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Viele Senioren verspüren kein hinreichendes
Hungergefühl mehr. In der Folge reduzieren sie die Nahrungsaufnahme.
Ggf. werden ganze Mahlzeiten komplett ausgelassen. Gleichzeitig jedoch
nehmen sie aus Gewohnheit oder aus Unwissenheit weiterhin die
verordnete Menge Insulin ein und verursachen damit eine Hypoglykämie.
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Verschiedene hirnorganische
Degenerationsprozesse führen zu einer Symptomatik, die den Anzeichen
einer einsetzenden Hypoglykämie ähneln. So können Verwirrtheitszustände
und Sprachstörungen sowohl die Folge einer Unterzuckerung sein, als
auch das Symptom von Durchblutungsstörungen im Hirn oder von Morbus
Alzheimer. Es besteht also das Risiko, dass das Umfeld des Bewohners
die Verhaltensauffälligkeiten zwar bemerkt, diese aber missdeutet und
nicht angemessen reagiert.
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Anders als gesunde Menschen sind demenziell
erkrankte Bewohner oftmals nicht in der Lage, die Frühwarnzeichen einer
Unterzuckerung richtig zu deuten und sich angemessen verständlich zu
machen.
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Soziale Isolation leistet der Entwicklung von
Hypoglykämien Vorschub. Es mangelt dann am Umfeld, das den Bewohner zu
einer ausreichenden Nahrungsaufnahme motiviert. Zudem bleiben dann
viele Notfälle über Stunden unbemerkt, da der Bewohner keinen Besuch
bekommt.
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Ein weiterer Faktor sind Nebenwirkungen anderer
Medikamente. Viele ältere Typ-2-Diabetiker nehmen stark wirksame
Sulfonylharnstoffe (Glibenclamid) ein. Diese Wirkstoffe können eine
Hypoglykämie mitverursachen.
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Die parallele Einnahme von Beta-Blockern kann
die Symptomatik verschleiern. Der Betroffene bemerkt die Warnzeichen
nicht rechtzeitig und kann ggf. unvermittelt das Bewusstsein verlieren.
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Besondere Vorsicht ist bei Alkoholkranken
notwendig, dieses insbesondere, wenn der Suchtkranke im Rausch die
Kohlenhydratzufuhr reduziert.
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Multimorbidität steigert das Risiko gleich doppelt:
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Senioren mit verschiedenen Grunderkrankungen
sind anfälliger für das Auftreten einer Hypoglykämie. Relevant sind
Polyneuropathien, Magenentleerungsstörungen, Magen-Operationen oder
Tumorerkrankungen.
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Und tritt eine Unterzuckerung ein, sind die
Komplikationen oftmals gravierender. Nicht selten kommt es zum
Herzinfarkt oder zum Schlaganfall.
Symptome Hypoglykämie (Unterzuckerung) / hypoglykämischer Schock
Eine
Hypoglykämie führt zur Freisetzung von Stresshormonen. Diese lösen
zunächst eine Warnkaskade mit einer typischen Symptomatik aus. Danach
führt die Unterversorgung des Gehirns mit Glukose zu fortschreitenden
Ausfallerscheinungen.
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Heißhunger
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angespannte Muskulatur, Zittern
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Herzklopfen
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"weiche Knie"
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schweißige, kalte und blasse Haut
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Abgeschlagenheit, Kraftlosigkeit, ständiges Gähnen
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Verhaltensauffälligkeit wie depressive
Verstimmung, Antriebslosigkeit, Euphorie, Konzentrationsunfähigkeit,
Aggressivität, Unruhe usw.
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Kribbeln in den Mundwinkeln, Pelzigkeitsgefühl der Zunge und des Mundraumes
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Herzrhythmusstörung mit einem Anstieg der Herzfrequenz auf über 100/min (Tachykardie)
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Anstieg des Blutdrucks
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eingetrübtes Bewusstsein mit neurologischen Ausfällen ähnlich den Folgen eines Schlaganfalls
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Reaktion auf die Ansprache durch die Pflegekraft ist verzögert
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Missempfindungen (Parästhesien)
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Kopfschmerzen
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Sehstörungen
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Sprachstörungen, vor allem verwaschene Sprache, Lallen
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ggf. Krampfanfälle
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ggf. Lähmungserscheinungen
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Gangschwäche und Gangunsicherheiten, Bewohner stolpert und fällt
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ggf. Bewusstlosigkeit
Eine nächtliche Hypoglykämie äußert sich häufig durch:
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morgendliche Kopfschmerzen
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Nachtschweiß
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Angstträume
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unruhiges und verwirrtes Erwachen
Unterscheidung zwischen diabetischem Koma und hypoglykämischem Schock
Es
ist von entscheidender Bedeutung für das Leben des Bewohners, dass ein
diabetisches Koma korrekt von einem hypoglykämischen Schock
unterschieden wird. Daher muss jede Pflegekraft die zentralen
Differenzierungskriterien kennen:
diabetisches Koma
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Die Symptomatik entwickelt sich langsam über Stunden oder über Tage.
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Der Bewohner ist sehr durstig.
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Die Haut ist ausgetrocknet.
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Die Muskulatur ist entspannt.
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Der Bewohner ist ruhig.
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Die Atmung ist vertieft (bei ketoazidotischem Koma).
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Die Ausatmung riecht süßlich, fast apfelartig.
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Die Augäpfel sind weich und eingefallen.
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Der Bewohner ist fiebrig.
hypoglykämischer Schock
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Der Schock tritt schnell auf, also mitunter binnen weniger Minuten.
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Der Bewohner verspürt Heißhunger.
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Die Haut ist kaltschweißig und feucht.
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Die Muskulatur ist angespannt. Der Bewohner entwickelt einen Tremor.
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Der Bewohner ist unruhig.
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Die Atmung ist normal.
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Die Augäpfel sind normal.
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Die Pupillen sind erweitert.
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Es kommt zu zerebralen Krampfanfällen.
Durchführung:
Maßnahmen bei Unterzuckerung
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Der BZ-Wert wird ermittelt.
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Bei nicht bewusstlosen Bewohnern:
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Der Bewohner erhält 4 Plättchen
Traubenzucker, 8 Stückchen Würfelzucker, ein Glas Fruchtsaft oder ein
Glas Cola. Der feste Zucker kann dem Bewohner in die Wangentasche
gegeben werden.
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Zusätzlich sollte der Bewohner zwei BE in
Form von Brot oder Keksen zu sich nehmen, um ein späteres Absacken des
BZ-Wertes zu verhindern. Dieses vor allem in der Nacht.
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Bei der Zuckerzufuhr ist zu beachten, dass
nach Möglichkeit Traubenzucker verwendet wird. Bei Würfelzucker können
verschiedene Medikamente (Acarbose) die Verstoffwechselung im Darm
verzögern.
(Hinweis: Die oben genannten Maßnahmen setzen voraus, dass der Bewohner
in der Lage ist zu schlucken. Es darf keine Aspiration drohen.)
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15 Minuten später wird die BZ-Messung wiederholt. Ggf. wird jetzt der Notarzt gerufen.
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Der Bewohner wird nur dann allein gelassen,
wenn er bei klarem Bewusstsein ist und sich der Blutzucker normalisiert
hat oder wenn er vom Arzt behandelt wurde.
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Bei bewusstlosen Bewohnern:
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Der Bewohner wird in eine stabile Seitenlage gebracht.
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Der Notarzt wird alarmiert.
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Dem Bewohner wird keinesfalls Flüssigkeit oder fester Zucker eingegeben, da der Schluckreflex ausgefallen ist.
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Ggf. erfolgt eine Glukagon-Injektion (als
Fertigampulle) oder eine Glukoselösungs-Injektion i.m. oder s.c.. Der
Zielwert des Blutzuckerspiegels wird individuell mit dem behandelnden
Arzt festgelegt.
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Sobald der Bewohner aufwacht, werden ihm zuckerhaltige Nahrungsmittel angeboten (siehe oben).
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Wenn hinreichende Anzeichen für eine
nächtliche Hypoglykämie sprechen, wird zur Abklärung auch nachts der
Blutzuckerspiegel gemessen; ggf. auch zweimal oder dreimal in einer
Nacht.
Maßnahmen bei unbekannter Ursache
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Wenn nicht klar ist, ob das Koma durch Über-
oder durch Unterzuckerung verursacht wurde, wird niemals Insulin
verabreicht. Stattdessen wird dem Bewohner Zucker oral verabreicht
(Traubenzuckerstück in die Wangentasche) und der Notarzt alarmiert.
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Wenn der Bewohner überzuckert ist, richtet der Traubenzucker keine weiteren relevanten Schäden an.
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Eine Insulingabe bei Unterzuckerung jedoch ist häufig tödlich.
Nachbereitung:
allgemeine Maßnahmen
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Der Bewohner wird in den nächsten 24 Stunden
intensiv überwacht. Puls, Blutdruck und Bewusstsein werden engmaschig
überprüft. Alle zwei Stunden wird eine Blutzuckerkontrolle
durchgeführt, ggf. auch nachts.
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In einer Fallbesprechung wird erörtert, wie die
Entgleisung entstanden sein könnte und wie dieses in Zukunft verhindert
werden kann.
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Dem Bewohner werden in einem Beratungsgespräch noch einmal alle Verhaltensregeln erklärt, die aus dem Diabetes resultieren.
Dokumentation
Die Ereignisse werden dokumentiert. Wichtige Kriterien dafür sind:
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Beginn und Dauer der Krise
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aufgetretene Symptome
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eingeleitete Maßnahmen
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Verlauf der Entgleisung
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Kooperationsbereitschaft des Bewohners
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Messwerte BZ, Puls, Blutdruck usw.
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ggf. Zeitpunkt der Ankunft des Notarztes
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ggf. Verlegung in ein Krankenhaus
Prognose
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Bei einer zeitlich begrenzten Unterzuckerung
ist selbst bei einer Ohnmacht eine bleibende Schädigung
unwahrscheinlich. In den meisten Fällen erholt sich der Bewohner
schnell.
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Eine länger andauernde Bewusstlosigkeit kann zu neurologischen Schäden mit entsprechenden Ausfällen führen.
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Nicht selten kommt es zu einem Sturz, dessen gesundheitliche Folgen weit gravierender sind als die der Hypoglykämie.
Dokumente:
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Berichtsblatt
-
ärztliches Verordnungsblatt
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Kommunikationsblatt mit dem Arzt
-
Pflegeplanung
Verantwortlichkeit / Qualifikation:
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