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Standard "Aggressive Bewohner: Prophylaxe und Verhalten im Notfall" (stationäre Pflege)

Die Versorgung von Senioren mit Korsakow-Syndrom, Schizophrenie oder Rauschmittelsucht ist nervenaufreibend, aufwendig und vor allem nicht ohne Risiko. Dass viele Betroffene dennoch in regulären Seniorenheimen versorgt werden, hat einen einfachen Grund: Die Plätze in psychiatrischen Fachkliniken sind knapp und teuer.


Standard "Aggressive Bewohner: Prophylaxe und Verhalten im Notfall" (stationäre Pflege)


Definition:

  • Aggressivität und Gewalt sind tief im menschlichen Verhalten verwurzelt, da sie über viele Generationen hinweg das Überleben und die Nahrungsversorgung sicherten. Mit dem gesellschaftlichen Fortschritt und der Entwicklung der Zivilisation wurde aggressives Verhalten zunehmend aus dem Alltag verbannt oder in andere Bahnen (wie etwa Sport) gelenkt. Ein mental gesunder Mensch wendet daher im sozialen Umgang keine Gewalt an.
  • Verschiedene Krankheitsbilder können dazu führen, dass der Mensch einen Kontrollverlust erleidet. Er zeigt dann Aggressionen gegen sich selbst, gegen Pflegekräfte oder gegen Mitbewohner. Betroffen sind z. B. Bewohner mit einer Manie, mit wahnhaften Erkrankungen sowie mit Alkohol- bzw. Drogensucht.
  • Die Einstellung zur Gewalt ist abhängig von der individuellen Sozialisation. Je nach sozialer oder kultureller Gruppenzugehörigkeit kann etwa der Schlag mit der flachen Hand auf das Gesäß ein "freundschaftlicher Klaps" oder eben Körperverletzung sein. Die Akzeptanz von aggressivem Verhalten unterliegt auch zeitlichen Veränderungen. In der Schulzeit unserer Bewohner waren Schläge durch den Lehrer an der Tagesordnung. Dazu kommen oftmals Kriegserlebnisse. All dieses ist für die meisten Pflegekräfte unvorstellbar.

Grundsätze:

  • Die meisten gewalttätigen Bewohner sind nicht "von Grund auf" aggressiv. Fast immer gibt es für das Handeln einen Grund oder einen Auslöser.
  • Auch eine Einrichtung von demenziell erkrankten Senioren ist kein rechtsfreier Raum. Wir wollen und dürfen daher Gewalt niemals tolerieren. Gewaltvermeidung hat dabei stets oberste Priorität.
  • Auch Bewohner mit Gewaltverhalten sind wertvolle Mitglieder unserer Hausgemeinschaft. Sie sind aber auch eine potenzielle Gefahr für sich selbst und für andere. Daher ist ein permanentes Maß an Vorsicht unverzichtbar.
  • Bei aggressivem Verhalten eines Bewohners gilt "Sicherheit geht vor". Das bedeutet: Bei allen Maßnahmen haben Pflegekräfte auch an die körperliche Unversehrtheit von unbeteiligten Mitbewohnern sowie an die eigene Gesundheit zu denken.
  • Unsere Mitarbeiter haben ein Recht darauf, ihre Arbeit ohne Angst vor Gewalt zu leisten.
  • Gewalt ist kein Tabuthema. Wir sprechen dieses Problem offen an und verheimlichen es nicht.
  • Wir arbeiten eng mit Hausärzten und Selbsthilfegruppen zusammen.
  • Wir halten es für notwendig, Aggressivität ganzheitlich zu behandeln. Medikamente sind dabei nur eine Säule. Ebenso wichtig sind therapeutische Gespräche, sozialpsychiatrische Betreuung und Beschäftigungstherapie.
  • Körperlicher Zwang und Fixierungen sind immer als allerletztes Mittel zu wählen und keinesfalls zu disziplinarischen Zwecken.
  • Unsere Möglichkeiten zur Betreuung von aggressiven Bewohnern sind begrenzt. Wenn unsere Mittel nicht reichen, prüfen wir eine Überstellung des Bewohners an eine Fachklinik. Dieses ist insbesondere dann der Fall, wenn der Kranke eine latente Gefahr für andere Bewohner oder Mitarbeiter unserer Einrichtung darstellt.

Ziele:

  • Der Bewohner, seine Mitbewohner und Pflegekräfte bleiben unversehrt.
  • In unserer Einrichtung herrscht ein angstfreies Klima.
  • Wir schaffen ein Umfeld, das der Bewohner als angenehm empfindet und das etwaige aggressive Impulse dämpft.
  • Der Bewohner ist in der Lage, seine aggressiven Impulse zu kontrollieren. Er verzichtet auf jede Form der Gewalt.
  • Der Bewohner erkennt, dass er seinen Mitmenschen seelischen oder gar körperlichen Schaden zufügt.

Vorbereitung:

 Organisation

  • Unser Team wird regelmäßig zum Thema Gewaltprävention fortgebildet.
  • Der Umgang mit aggressiven Bewohnern wird in Rollenspielen geübt. Insbesondere erwarten wir, dass erfahrene Pflegekräfte ihr Wissen an jüngere Kollegen weitergeben. Neue Mitarbeiter werden im Rahmen der Einarbeitung in die bei uns üblichen Abläufe eingewiesen.
  • Aggressive Bewohner erhalten eine geschulte und erfahrene Bezugspflegekraft, die dauerhaft für den Senioren zuständig bleibt. Bei der Zuteilung ist darauf zu achten, dass kein Mitarbeiter unangemessen viele verhaltensauffällige Bewohner als Bezugspflegekraft betreut.
  • Nach Möglichkeit werden keine Praktikanten, ehrenamtliche Mitarbeiter oder Pflegeschüler mit der Versorgung von aggressiven Senioren betraut.
  • Ärzte, Therapeuten und andere externe Partner werden gewarnt, wenn sie erstmals auf einen Bewohner treffen, der regelmäßig aggressives Verhalten zeigt.
  • Falls ein oder mehrere Bewohner potenziell gewalttätig sind, wird das Team auf Zwischenfälle vorbereitet. Wir halten daher ein funkgesteuertes Notrufsystem bereit. Jede Pflegekraft, die einen aggressiven Senioren versorgt, verfügt über einen mobilen Notrufknopf. (Hinweis: Diesen Punkt ggf. streichen.)
  • Wir beachten, dass der optische Zustand einer Einrichtung Einfluss auf Aggressionen haben kann. In einer gut gepflegten Einrichtung sind weniger Zwischenfälle zu erwarten als in einer heruntergekommenen Umgebung.
  • Wir kontrollieren regelmäßig, ob die verordneten Medikamente aggressionssteigernde Nebenwirkungen haben.
  • In den ersten Wochen nach dem Umzug nehmen wir uns besonders viel Zeit, um mit dem neuen Bewohner zu sprechen. Dieser wird ermuntert, sich an unserem Freizeitprogramm zu beteiligen.
  • Wir versuchen, Alkoholmissbrauch durch Bewohner zu verhindern.
  • Nicht jede Meinungsverschiedenheit unter Bewohnern muss von Pflegekräften sofort geschlichtet werden. Pflegekräfte sollten erst dann einschreiten, wenn die Situation außer Kontrolle zu geraten droht. Also:
    • verbale Aggressivität
    • sexuelle Belästigung
    • Demütigungen, öffentliches Lächerlichmachen und Kränkungen
    • soziale Ausgrenzung von Bewohnern, Ausschluss von Gemeinschaftsaktivitäten
  • Ist die Gefahr real, reagieren wir möglichst frühzeitig. Mit jeder ungenutzten Minute können sich die Spannungen verschärfen.
  • Wir befragen die Angehörigen nach "Reizthemen", die den Bewohner emotional belasten könnten. Diese werden in der Pflegeplanung vermerkt. Wichtig ist auch zu klären, inwieweit Gewalt Teil des bisherigen Lebensweges war.
  • Das Verhalten des Bewohners wird in Fallbesprechungen sorgfältig thematisiert. Wichtig sind insbesondere
    • Faktoren, die das aggressive Verhalten offenbar fördern oder hemmen.
    • Frühwarnzeichen (etwa Mimik oder Gestik), die auf ein baldiges aggressives Verhalten hindeuten.
    • "bevorzugte" Tageszeiten für aggressives Verhalten.
    • Die Maßnahmen innerhalb des Pflegeteams werden genau abgesprochen. Es ist wichtig, dass alle Pflegekräfte einheitlich handeln. Jeder Mitarbeiter muss wissen, welche Verhaltensweisen eines Bewohners toleriert werden und welche nicht.
  • In einem Wohnbereich, in dem aggressive Bewohner leben, sollten stets zwei Nachtwachen eingesetzt werden. Zudem sollten Nachtwachen ein Mobiltelefon bei sich tragen.

 Prophylaxemaßnahmen

Wir gestalten die Versorgung des Bewohners so, dass Auslöser für aggressives Verhalten vermieden werden. Kommunikation:

  • Auch im Verlauf einer demenziellen Erkrankung wird der Bewohner als erwachsener Mensch und nicht wie ein Baby angesprochen.
  • Der Bewohner wird nur dann geduzt, wenn er dieses ausdrücklich wünscht. Wenn uns der Bewohner vor Beginn einer demenziellen Erkrankung das Du angeboten hat, gilt dieses Privileg u.U. nicht dauerhaft. Beim Fortschreiten des mentalen Verfalls empfindet er ggf. das fortgesetzte Duzen als distanzlos und unangemessen.
  • Der Bewohner wird ansonsten gesiezt sowie mit "Herr" oder "Frau" und dem Nachnamen angesprochen. In keinem Fall wird er als "Opa", "Oma" usw. bezeichnet.
  • Wir vermeiden es, pflegewissenschaftliche oder medizinische Fachbegriffe zu nutzen. Falls dieses doch erforderlich ist, erklären wir dem Bewohner die Zusammenhänge.
  • Wir bevorzugen geschlossene Fragen, die mit "ja" oder mit "nein" beantwortet werden können. Wir vermeiden offene Fragen ("warum").
  • 24-Stunden-ROT sowie Gruppen-ROT (Realitäts-Orientierungs-Training) wird nur im Anfangsstadium einer demenziellen Erkrankung eingesetzt. Bei einer mittleren oder bei einer schweren Demenz nutzen wir das Konzept der "validierenden Kommunikation".
  • Der Bewohner wird von vorne angesprochen. Die Pflegekraft sucht nach Möglichkeit Blickkontakt. Die Kommunikation sollte stets "auf gleicher Höhe" erfolgen. Wenn der Bewohner steht, sollte auch die Pflegekraft stehen. Wenn der Bewohner sitzt, sollte sich auch die Pflegekraft setzen.
  • Der Umgang mit dem Bewohner ist immer wohlwollend und freundlich. Bei Fehlverhalten machen wir dem Bewohner keine Vorwürfe. Wir vermeiden auch längere Diskussionen, die die mentalen Ressourcen des Bewohners überfordern.
  • Wir sprechen stets deutlich und mit normaler Lautstärke. Wir stellen sicher, dass uns ein hörgeschädigter Bewohner verstehen kann. Wenn der Bewohner (grundlos) schreit, schreien wir nicht zurück.
Beschäftigung:
  • Die biografischen Gewohnheiten werden möglichst umfassend erfasst und beachtet. Dieses beinhaltet insbesondere die Wahl von Brettspielen, des Fernsehprogrammes usw. Die Reaktionen des Bewohners auf die Angebote werden beobachtet. Wenn der Bewohner negativ reagiert, erhält er zeitnah alternative Beschäftigungsmöglichkeiten.
  • Wir passen das Niveau der Angebote an den stetigen Verfall der mentalen Fähigkeiten an. Wir vermeiden es insbesondere, den Bewohner bei Brett- oder bei Kartenspielen gegen Mitbewohner spielen zu lassen, die ihm mental überlegen sind.
  • Unverzichtbar sind Rückzugsmöglichkeiten für Bewohner, wenn diese in einem Zweibettzimmer leben. Dazu zählt etwa ein Garten oder eine Bibliothek.
  • Eine Reizüberflutung des Bewohners wird vermieden. Insbesondere werden unnötig laufende Fernseher und Radios ausgeschaltet.
Ernährung:
  • Der Bewohner soll seine Nahrung so lange wie möglich eigenständig zu sich nehmen. So nutzen wir bei fortgeschrittenen demenziellen Erkrankungen das Prinzip des Fingerfoods. Dem Bewohner wird das Essen erst dann angereicht, wenn dieses absolut zwingend erforderlich ist.
  • Wir nutzen so lange wie möglich konventionelles Essgeschirr und Besteck. Schnabeltassen und hochwandige Teller werden vermieden.
  • Wir lassen uns beim Anreichen der Nahrung Zeit und vermeiden Hektik.
  • Die Essgewohnheiten des Bewohners werden (etwa im Rahmen der Biografiearbeit) erfasst und soweit möglich beachtet.
  • Die Essenszeiten werden flexibel gestaltet.
  • Fixierungsmaßnahmen während der Nahrungsaufnahme werden soweit möglich vermieden.
  • Der Bewohner kann seinen Platz im Speisesaal frei wählen. Wir vermeiden es, dass der Bewohner neben einem Mitbewohner sitzen muss, der ihm unsympathisch ist.
  • Die Portionsgröße entspricht den Vorlieben und den Ernährungsbedürfnissen des Bewohners. Wir vermeiden es, den Bewohner zum Essen aufzufordern.
Körperpflege:
  • Die Intimsphäre des Bewohners wird soweit möglich beachtet. So wird der Genitalbereich bei der Ganzwäsche abgedeckt, wenn aktuell eine andere Körperzone gereinigt wird.
  • Die biografisch verankerten Gewohnheiten bei der Körperpflege werden beachtet. Dieses betrifft insbesondere den Zeitpunkt der Körperpflege und die Wahl der Pflegeprodukte.
  • Wenn der Bewohner in jüngeren Jahren nur wenig Körperpflege betrieb und diese ablehnt, so wird das Waschen auch von uns auf das Minimum beschränkt.
  • Die Wünsche des Bewohners zur Frisur und zum Bartwuchs werden beachtet.
  • Durch eine ausreichende Schichtbesetzung stellen wir sicher, dass der Bewohner nicht vom Nachtdienst gewaschen wird. Dieses ist nur dann sinnvoll, wenn der Bewohner etwa aufgrund seines beruflichen Lebensweges daran gewöhnt ist, dass die Körperpflege sehr früh erfolgt.
  • Die Wünsche des Bewohners bei der Kleidungswahl werden befolgt, sofern sich nicht zwingende Einschränkungen aufgrund von Krankheitsbildern ergeben. So kann es z. B. bei einer Dranginkontinenz erforderlich sein, dass der Bewohner eine Trainingshose trägt, die er bei einem Toilettengang schnell herunterziehen kann.
  • Verschmutztes oder durchfeuchtetes Inkontinenzmaterial wird zeitnah ersetzt.
weitere Maßnahmen:
  • Wir achten auf ein gutes Arbeitsklima. Spannungen unter den Pflegekräften und insbesondere ein rauer Umgangston können sich auf die Senioren übertragen.
  • Dauerhafter Lärm kann Aggressionen auslösen und wird daher vermieden. Dazu zählen Straßenlärm, Lärm aus der Hauswirtschaft usw.
  • Wir vermeiden (soweit möglich) weitere aggressionsauslösende Faktoren, etwa:
    • unangenehme Gerüche
    • Hitze, insbesondere Temperaturen über 25°C
    • unbekannte Geräusche
    • Unterzuckerung oder Hunger
    • Atemnot
    • Austrocknung
    • Harnverhalt
    • hoher Blutdruck
    • Schilddrüsenüberfunktion
    • Arzneimittel, insbesondere Nootropika, aktivierende Antidepressiva oder Koffein-Produkte.
    • morgendlicher Stress, wenn der Bewohner noch verlangsamt reagiert
    • unnötige Störungen in der Nacht
    • mangelhafte Schmerzbehandlung
    • bedrohlich wirkende Pflegemaßnahmen, wie etwa das unangekündigte Einführen von Schläuchen
  • Aggressives Verhalten darf nicht durch unverhältnismäßige Aufmerksamkeit "belohnt" werden. Dieses führt beim verhaltensauffälligen Bewohner zu einem Lerneffekt. Zudem würden stille und zurückhaltende Bewohner ins Hintertreffen geraten.
  • Wir prüfen, ob sich die Aggressionen mit Medikamenten lindern lassen, insbesondere Magnesium, Betablocker usw.

Durchführung:

Verhalten, wenn der Bewohner verbale Aggressionen zeigt

  • Beschimpfungen werden ruhig und sachlich zurückgewiesen. Die Pflegekräfte reagieren niemals mit eigenen verbalen Entgleisungen.
  • Mitbewohner werden in Schutz genommen, wenn sie das Ziel von Beschimpfungen werden.
  • Beschimpfungen sind immer auch eine Möglichkeit für den Bewohner, "Dampf abzulassen". Wenn damit körperliche Aggressionen vermieden werden, können (je nach individuellen Gegebenheiten) verbale Angriffe in Grenzen toleriert werden. Gewalt gegen Gegenstände oder Lebewesen wird niemals toleriert.

Verhalten bei einer sich andeutenden Gewaltsituation

 Das Verhalten des Bewohners wird sorgfältig beobachtet, damit wir die Gefahr einer gewalttätigen Eskalation frühzeitig erkennen. Dieses ist etwa dann der Fall, wenn der Bewohner drohende Gebärden zeigt, Gewalt verbal androht oder unerfüllbare Forderungen stellt.

  • Bei dementen Bewohnern wird geprüft, ob Validation sinnvoll ist.
  • Wir versuchen den Bewohner in einer Weise zu beschäftigen, die seine Aggressionen mindert, etwa
    • Spaziergang
    • Gymnastik
    • Musiktherapie
    • handwerkliche Tätigkeiten
    • Arbeit im Garten
  • Wir vereinbaren falls möglich mit dem Bewohner, dass er von sich aus anzeigt, wenn er in sich das Ansteigen von Aggressionen bemerkt und mehr Freiraum benötigt.
  • Wir entfernen alle Gegenstände, mit denen der Demenzpatient sich selbst oder andere Mitbewohner verletzen könnte, also etwa spitze Scheren, Werkzeuge usw. Glasflaschen werden gegen Kunststoffflaschen getauscht.

Verhalten bei einer Gewaltsituation

  • Häufig lässt sich die Situation bereits dadurch entschärfen, dass das Personal Geschlossenheit, Stärke und erhöhte Präsenz zeigt.
  • Ggf. richtet sich die Aggressivität des Bewohners gegen eine einzelne Pflegekraft. Dann kann es sinnvoll sein, dass diese Pflegekraft den Sichtbereich des Bewohners verlässt, sobald ein anderer Kollege anwesend ist.
  • Die Bezugspflegekraft oder eine andere vertraute Pflegekraft werden herbeigerufen. Diese suchen den Dialog mit dem Bewohner und versuchen, ihn von Gewalttaten abzubringen.
  • Wir prüfen, wie der Bewohner auf andersgeschlechtliches Pflegepersonal reagiert. Insbesondere bei Männern wirken  weibliche Mitarbeiter oftmals deeskalierend. Zudem verfügen Frauen i.d.R. über ein besseres empathisches Verständnis und können insbesondere Körpersprache und Mimik besser "lesen".
  • Bedrohte Mitbewohner und Kollegen werden aus dem direkten Gefahrenbereich geführt. Danach wird die nähere Umgebung geräumt, also etwa der Flur. Mitbewohner werden gebeten, in ihre Zimmer zu gehen und dort zu bleiben, bis sich die Situation entspannt hat.
  • Dem Bewohner wird eine Rückzugsmöglichkeit angeboten, damit er seine Gedanken ordnen kann. Er wird aber nicht unbeobachtet gelassen, da er sich selbst verletzen könnte.
  • Die Pflegekraft versucht im Dialog mit dem Bewohner zu klären, durch was die Aggressionen ausgelöst wurden.
  • Es kann sinnvoll sein, dem Bewohner zu zeigen, dass sein Verhalten auf andere Menschen bedrohlich wirkt. Etwa: "Herr Meier, wenn Sie sich so aggressiv verhalten, bekomme ich Angst vor Ihnen."
  • Pflegekräfte sollten versuchen, die Erwartungshaltung des aggressiven Bewohners zu durchbrechen. Er erwartet von den Pflegekräften, dass diese ihn beschwichtigen oder überwältigen wollen. Stattdessen können Pflegekräfte etwas Unerwartetes tun. Beispiel: Ein Bewohner bedroht Pflegekräfte mit einem Schraubenzieher. Eine Pflegekraft geht, ohne Angst zu zeigen, auf den Bewohner zu und sagt: "Das ist ja nett, dass Sie mir den Schraubenzieher bringen möchten. Den brauche ich jetzt für die Reparatur des Tisches." Oft kann man dem verblüfften Bewohner nun den Gegenstand abnehmen.

Überwältigung eines Bewohners

Nur wenn alle Alternativen ausgeschöpft sind und es keine Möglichkeit zu einer gewaltfreien Lösung gibt, wird der aggressive Bewohner überwältigt. Dieses ist insbesondere dann notwendig, wenn eine eindeutige Eigen- oder Fremdgefährdung vorliegt. Kein eigener Zugriff erfolgt, wenn der Bewohner etwa mit einem Messer bewaffnet ist. In solchen Fällen wird die Polizei gerufen.

  • Ein Mitarbeiter bereitet außer Sichtweite des Bewohners die Fixierungsmaterialien vor.
  • Der Zugriff erfolgt primär durch männliches Pflegepersonal.
  • Der Zugriff erfolgt niemals im Alleingang. Es müssen stets mindestens zwei Pflegekräfte anwesend sein.
  • Der Zugriff erfolgt stets von zwei Seiten gleichzeitig. Eine Pflegekraft führt einen Scheinzugriff durch, während der zweite Mitarbeiter den tatsächlichen Zugriff beginnt.
  • Das Gesicht des Bewohners wird mit Kleidung überdeckt (Bissgefahr!).
  • Die Handgelenke werden fest gegriffen, ebenso die Füße.
  • Alle weiteren Maßnahmen erfolgen gemäß des Standards "Fixierung von Bewohnern".

Nachbereitung:

  • Wenn Bewohner bei dem Zwischenfall verletzt wurden, werden umgehend ein Arzt und die Polizei gerufen. Nach Möglichkeit werden Verletzungen fotografiert.
  • Alle Beobachtungen werden genau dokumentiert. Die Beschreibung erfolgt wertfrei. Wir achten insbesondere auf Veränderungen im Verhalten des Bewohners.
  • Die Dokumentation sollte präzise erfolgen. Statt also zu schreiben, dass der Bewohner "aggressiv" ist, sollten dessen Handlungen genau beschrieben werden, etwa:
    • Der Bewohner wirft das Tablett mit dem Mittagessen um.
    • Der Bewohner beschimpft Mitbewohner im Gymnastikraum.
  • Entstandene Sachschäden werden erfasst und sorgfältig dokumentiert. Dieses insbesondere, wenn das Eigentum eines Mitbewohners betroffen ist.
  • Wir prüfen, ob wir den Grund für das aggressive Verhalten ermitteln können. Dieses ist i.d.R. ein Ereignis, dass sich kurze Zeit vor dem Wutausbruch ereignet hat.
  • Der Abbau der Aggressionen wird in der Pflegeplanung als Ziel definiert. Bei der Anpassung der Pflegeplanung berücksichtigen wir, dass die Wahrscheinlichkeit für aggressives Verhalten mit jedem Zwischenfall ansteigt. Der Bewohner "erlernt", dass er mittels Gewalt "Dampf ablassen" kann.
  • Wenn ein Bewohner wiederholt aggressiv gegen seine Bezugspflegekraft vorgeht, so wird diese ausgewechselt.
  • Der Vorfall wird mit dem behandelnden Arzt besprochen. Ggf. wird die medikamentöse Behandlung angepasst. Sollte das Gewaltverhalten regelmäßig auftreten, werden eine Zwangseinweisung und die Bestellung eines Betreuers erörtert.
  • Pflegekräfte müssen sich darüber bewusst sein, dass sie ihre eigene Angst nicht unterdrücken sollten. Dieses könnte dazu führen, dass sie ihrerseits übermäßige Gewalt anwenden. Wir bieten unseren Pflegekräften daher regelmäßig Supervision an.

Dokumente:

  • Pflegebericht
  • Pflegeplanung

Verantwortlichkeit / Qualifikation:

  • Pflegefachkräfte
  • Pflegehilfskräfte