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Standard "Pflege von Senioren mit Juckreiz (‚Pruritus')"

Der Zwang, sich 24 Stunden am Tag und in der Nacht kratzen zu müssen, macht vielen Senioren das Leben zur Hölle. Wenn keine auslösende Grunderkrankung gefunden werden kann, liegt es an den Pflegekräften, dem Betroffenen Linderung zu verschaffen. Unser Standard fasst einige aussichtsreiche Strategien zusammen.


Standard "Pflege von Senioren mit Juckreiz (‚Pruritus')"


Definition:

  • Juckreiz (auch "Pruritus") ist keine eigenständige Krankheit, sondern ein im Alter sehr häufig auftretendes Symptom. Die Folgen können so peinigend sein, dass der Lebenswille letztlich gebrochen wird. Auslöser sind oftmals Gallengangs- und Leberfunktionsstörungen. Seltener ist der Juckreiz die Folge einer allergischen Reaktion.
  • In vielen Fällen kann allerdings auch ein psychologischer Hintergrund vermutet werden. Das Kratzen der Haut ersetzt z.B. unterbewusst körperliche Zuwendung durch den (verstorbenen) Partner.
  • Das Kratzen führt häufig zu Sekundärinfektionen.
 

Grundsätze:

  • Jede Medikation wird mit dem behandelnden Hausarzt abgesprochen. Ohne seine Anweisung werden keine Medikamente abgesetzt oder deren Dosierung verändert. Wir raten dem Bewohner von eigenmächtigen Medikamentierungen dringend ab.
  • Jeder Juckreiz, der länger als drei Tage anhält und keine bekannte Ursache hat, rechtfertigt die Vorstellung des Bewohners beim Haut- oder Hausarzt.
  • Wir zeigen stets Verständnis für die Situation des Bewohners.
  • Wir sind uns bewusst, dass der Juckreiz die Lebensqualität massiv einschränkt.

Ziele:

  • Die Ursache für den Juckreiz wird ermittelt und falls möglich beseitigt.
  • Der Juckreiz selbst wird ausgeschaltet oder zumindest spürbar gelindert.
  • Der Bewohner kennt wirksame Maßnahmen zur Linderung des Juckreizes und wendet diese eigenständig an.
  • Das soziale Leben des Bewohners bleibt erhalten.
  • Infektionen, etwa durch kontaminierte Kratzspuren, werden vermieden.

Vorbereitung:

Informationssammlung

Wir sammeln und dokumentieren alle relevanten Informationen. Diese stellen wir auch dem behandelnden Arzt zur Verfügung.

  • Seit wann leidet der Bewohner unter Juckreiz?
  • Litt der Bewohner schon in der Vergangenheit unter Juckreiz?
  • Welche Medikamente nutzte der Bewohner bislang, um den Juckreiz zu lindern? Wie wirksam waren diese?
  • Wie ist die Haut des Bewohners beschaffen? Ist sie besonders trocken?
  • An welchen Hautbereichen tritt der Juckreiz auf? Ist der Juckreiz auf bestimmte Körperpartien begrenzt oder tritt er generalisiert auf?
  • Gibt es Kratzspuren oder andere Läsionen?
  • Ist die Haut bereits entzündet?
  • Welche Auswirkungen hat der Juckreiz auf die Lebensqualität des Bewohners? Leidet er unter Schlafmangel, Abgeschlagenheit, Nervosität oder Depressionen?

Ursachenforschung

Wir prüfen, ob es offensichtliche Auslöser für den Juckreiz gibt, etwa:

  • trockene, rissige und spröde Haut
  • eigenmächtige Einreibungen mit Alkohol (Franzbranntwein)
  • bekannte Haut- oder Stoffwechselerkrankungen, etwa Neurodermitis oder Diabetes mellitus
  • Nebenwirkungen von Arzneimitteln
  • allergische Reaktionen
  • zu häufiges Waschen mit alkalihaltiger Seife
  • psychogene Ursachen
  • bekannte Lebererkrankung
  • bekannte Nierenerkrankung
  • Leukämie
  • Morbus Hodgkin
  • Neuropathie
  • Parasitenbefall, etwa durch Milben, Flöhe oder Läuse

Prophylaxemaßnahmen

  • Falls der Juckreiz auf eine Allergie zurückgeführt werden kann, werden die auslösenden Allergene konsequent gemieden.
  • Die Fingernägel sollten besonders kurz geschnitten werden. Damit werden zusätzliche Läsionen durch das Kratzen vermieden.

Durchführung:

äußere Anwendungen

  • Wir nutzen traditionelle Mittel zur Bekämpfung von Juckreiz:
    • Wir führen Kälteanwendungen durch, legen also z.B. eine kalte Kompresse oder feuchte Tücher auf die juckende Haut auf.
    • Alternativ führen wir einen Eiswürfel über die Hautstelle.
  • Wir tragen geeignete Präparate auf:
    • Linderung kann auch das Abreiben der Haut mit Essigwasser (3 Teelöffel Weinessig gelöst in einem Liter Wasser) oder zweiprozentige Menthol-Lösung bringen.
    • Verschiedene Gele oder Cremes lindern den Juckreiz, etwa Fenistil© (Gel), Tavegil© (Gel), Anaesthesin© (Creme), Ingelan© (Gel), Teer-Linola©-Fett (Creme W/O). Möglich ist auch die Nutzung von Aloe vera, Calendula (Öl der Ringelblume) oder Olivenöl.
    • Wirksam gegen Juckreiz sind auch verschiedene Puder, etwa Ingelan© oder Anaesthesin©.
    • Besonders schmerzende Hautbereiche können ggf. mit Oberflächenanästhetika behandelt werden, etwa 5% Thesit©. (Hinweis: Die Nutzung dieser Präparate ist umstritten, da es häufig zu allergischen Reaktionen kommt.)
  • Wir führen eine Juckreiz stillende Ganzkörperwaschung durch.
    • Wir stellen weiche Handtücher und Waschlappen bereit. Eine Waschschüssel wird mit rund 30°C warmem Wasser gefüllt.
    • Dem Wasser wird ein geeignetes Präparat zugegeben, etwa Balneum Hermal©, Cordes© F oder Euraxil©-Lotio.
    • Alternativ nutzen wir Obstessig (2 bis 3 Teelöffel auf 5 Liter Wasser), Stärkemehl (2 bis 3 Teelöffel auf 5 Liter Wasser) oder Eichenrindentee. Bei trockener Haut kann Hibiskustee für die Waschung genutzt werden.
    • Falls zuvor Juckreiz stillende Salben aufgebracht wurden, werden die Salbenreste mit Babyöl entfernt.
    • Der Körper wird vorsichtig mit dem Wasser gewaschen. Dabei ist Tupfen sinnvoller als Wischbewegungen.
    • Danach wird die Haut mit Wasser-in-Öl-Emulsion behandelt.
    • In den folgenden Stunden werden die Haut und das Verhalten des Bewohners intensiv beobachtet, um den Erfolg der Maßnahme abzuschätzen.
  • Alternativ zur Ganzkörperwaschung kann der Bewohner ein Juckreiz stillendes Bad nehmen.
    • Als Zusatzstoff können ggf. Hafermehl oder Kleie genutzt werden.
    • Das Bad sollte nicht zu lange dauern und zu nicht warm gewählt werden. Wir verhindern damit eine extreme Weitstellung der Hautgefäße.

innere Anwendungen

  • In vielen Fällen werden Antihistaminika verschrieben, etwa Tavegil© oder Soventol©.
  • Wenn der Bewohner sehr unruhig ist, können auch Sedativa verabreicht werden. Hierbei wird oftmals auf Präparate wie etwa Lorazepam (Tavor) zurückgegriffen.
  • Je nach Krankheitsbild sind oftmals auch Glukokortikoide wirksam.

allgemeine Maßnahmen

  • Wärme verstärkt oftmals den Juckreiz. Daher sollte die Raumtemperatur maßvoll gesenkt werden. Gleichzeitig sollte der Bewohner eine leichte Bettdecke nutzen.
  • Der Bewohner sollte lockere und weiche Kleidung tragen, unter der er nicht schwitzt. Bewohnerinnen sollten auf das Tragen eines BHs oder auf Kleidung mit engen Bündchen verzichten.
  • Der Bewohner sollte Kleidung aus Naturmaterialien wählen, etwa Baumwolle oder Seide.
  • Geschädigte Haut kann ggf. durch einen Schutzverband vor Infektionen und weiterem Aufkratzen geschützt werden.
  • Nachts sollte der Bewohner Baumwollhandschuhe tragen, damit er sich im Schlaf nicht unbewusst kratzt.
  • Der Bewohner wird aufgefordert, schwere körperliche Aktivitäten zu unterlassen. Dieses vor allem, wenn er dabei schwitzt.
  • Der Bewohner sollte Sonneneinstrahlung meiden. Ist dieses nicht möglich, ist es wichtig, ein Sonnenschutzmittel mit hohem Lichtschutzfaktor zu verwenden.
  • Ebenso sollte der Bewohner extreme Kältereize meiden, wie etwa heißes Föhnen, kalte Außenluft oder heftigen Wind.
  • Wir weisen den Bewohner auf die Infektionsgefahren hin. Aufgekratzte Haut kann sich leicht entzünden.
  • Wir überprüfen, ob der Bewohner Körperpflegemittel nutzt, die den Juckreiz verstärken. Nach Möglichkeit sollte der Bewohner auf Seifen, Waschlotionen, Kosmetika sowie auf Deodorants komplett verzichten.
  • Der Bewohner sollte zur Körperpflege bevorzugt duschen. Vollbäder sind zu vermeiden.
  • Wenn dem Kratzen psychologische Ursachen zugrunde liegen, regen wir eine Psychotherapie an, insbesondere eine Verhaltenstherapie.
  • Die Haut wird ausschließlich mit den Fingerspitzen sanft massiert. Alternativ kann eine weiche Bürste genutzt werden. Dieses sollte der Bewohner ggf. selbst vornehmen, etwa um ihm das Gefühl zu geben, eigenständig den Juckreiz zu bekämpfen.
  • In vielen Fällen können autogenes Training oder andere Entspannungsverfahren sinnvoll sein.

Nachbereitung:

  • Wenn sich der Bewohner stark aufgekratzt hat, verspürt dieser später zumeist Schuldgefühle. Wir nehmen darauf Rücksicht und halten uns mit Vorwürfen entsprechend zurück.
  • Das ständige Kratzen kann zur Isolation des Bewohners führen. Mitbewohner fühlen sich abgestoßen oder fürchten eine Ansteckung. Dieser Entwicklung sollte durch gezielte Informationen begegnet werden.
  • Wir beachten, dass ein anhaltender Juckreiz den Lebenswillen massiv beeinträchtigen kann. Dieses kann auch zu Suizidtendenzen führen.
  • Wir dokumentieren die Hautveränderungen, die dauerndes Kratzen verursacht, insbesondere Krusten, Hyperpigmentierung, Vergröberung und Hautfelderung.
  • Aufgetretene Probleme bei der Pflege werden im Qualitätszirkel thematisiert.
  • Die Pflegeplanung des Bewohners wird regelmäßig aktualisiert.
  • Relevante Beobachtungen werden umgehend dem behandelnden Arzt mitgeteilt.

Dokumente:

  • Berichtsblatt
  • Vitalzeichenblatt
  • Allergiepass

Verantwortlichkeit / Qualifikation:

  • alle Mitarbeiter