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Standard
"Verhalten bei
zerebralen Krampfanfällen"
Ein
zerebraler Krampfanfall ist nicht nur für den Betroffenen selbst ein
einschneidendes Ereignis. Auch Pflegekräfte sind angesichts der
dramatischen Symptome oftmals wie paralysiert. Dabei sind die ersten
Minuten entscheidend, um den Erkrankten vor Folgeschäden zu schützen.
Standard "Verhalten bei
zerebralen Krampfanfällen"
Definition:
-
Ein zerebraler Krampfanfall wird durch
eine Fehlfunktion von Nervenzellen im Gehirn ausgelöst. Es kommt zu
einer krankhaften Steigerung der Aktivität im Zentralnervensystem.
Dieses führt zu plötzlichen, starken und ungewollten Serien von
Muskelkontrakturen.
-
Fünf bis zehn Prozent aller Menschen in
Deutschland sind anfällig für Krampfanfälle. Die meisten erleiden aber
nur sehr wenige Anfälle, i.d.R. nur einen im Leben. Durch das Vermeiden
der auslösenden Faktoren kommt es zu keinem erneuten Anfall. Diese
Betroffenen sind also nicht behandlungsbedürftig.
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Von zentraler Bedeutung ist die
Epilepsie, eine neurologische Erkrankung, an der 500.000 Menschen in
Deutschland leiden.
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Krampfanfälle zählen aber auch zum
Symptombild verschiedener anderer Gesundheitsstörungen, etwa Urämie
(terminale Niereninsuffizienz), Entzugssyndrom oder Neurosen (als
psychogene Krämpfe). Auch Hirntraumata, etwa als Folge eines
Schlaganfalls oder nach Hirnblutungen, können Krampfanfälle auslösen.
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Bei lang anhaltenden oder sich in kurzer
Zeit wiederholenden Krampfanfällen kann Lebensgefahr bestehen (sog.
"Status epilepticus"). Insbesondere kann es zum Hirnödem oder zum Atem-
und Kreislaufstillstand kommen. Die Letalität liegt bei fünf bis zehn
Prozent.
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Bei langjährigen Anfallsleiden kommt es
bei vielen Betroffenen zu Wesensveränderungen oder zum
Hirnleistungsabbau. Dieses ist vor allem die Folge der wiederholten
Hirnmangeldurchblutung. Daher ist es wichtig, dass der Bewohner
frühzeitig und konsequent medikamentös behandelt wird. Der
Veränderungsprozess im Gehirn kann so gestoppt oder zumindest
verlangsamt werden.
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Die Mehrzahl der Epilepsie-Erkrankten
kann durch eine gute medikamentöse Einstellung eine Anfallsfreiheit
erlangen. Allerdings führen viele Wirkstoffe zu Müdigkeit,
Konzentrationsstörungen, Gewichtszunahme, Schwindel oder zu einem
feinschlägigen Tremor. Es ist daher wichtig, einen Medikamentenspiegel
im Blut zu erreichen, der einerseits Krampfanfälle wirksam unterbindet,
gleichzeitig jedoch möglichst wenige Nebenwirkungen zeigt.
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Ein Krampfanfall muss unterschieden
werden von einer Hyperventilationstetanie ("Hyperventilation") sowie
von Muskelkrämpfen.
Grundsätze:
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Das wichtigste pflegerische Mittel ist
ruhiges besonnenes Handeln.
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Ein einzelner Anfall ist für den Bewohner
zumeist nicht gefährlich, wenn er von Pflegekräften vor Verletzungen
geschützt wird.
Ziele:
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Der Bewohner wird während des
Krampfanfalls vor Verletzungen geschützt.
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Die Ursache des Krampfanfalls wird
korrekt erkannt.
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Durch eine genaue Erfassung und
Dokumentation der Anfälle werden die medizinische und insbesondere die
medikamentöse Therapie unterstützt.
-
Die Würde des Bewohners wird geschützt.
Vorbereitung:
allgemeine Maßnahmen
-
Die richtigen Maßnahmen bei einem
Krampfanfall werden regelmäßig im Rahmen der Erste-Hilfe-Ausbildung
thematisiert.
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Wir stellen sicher, dass der Bewohner die
verschriebenen Medikamente konsequent einnimmt. Ein plötzliches
Absetzen der Arzneimittel erhöht das Risiko eines Status epilepticus.
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Wir bitten den Arzt um eine
Bedarfsmedikation. Er muss festlegen, ab welcher Krampfstärke und ab
welcher Krampfdauer die Bedarfsmedikation verabreicht werden soll.
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Der Bewohner soll ggf. selbstständig ein
Anfallstagebuch oder einen Anfallskalender führen. Hier werden eigene
Beobachtungen und mögliche Auslöser dokumentiert, also z.B.
Schlafmangel, Alkoholkonsum usw. (Hinweis: Ein solches Dokument ist
genau genommen eine Doppeldokumentation, fördert jedoch die
Sensibilität des Bewohners für die eigene Erkrankung.)
vorbereitende
Schutzmaßnahmen
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Wenn ein Bewohner gehäuft Krampfanfälle
erleidet, treffen wir verschiedene Maßnahmen zu seinem Schutz.
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Wir bitten den Bewohner uns mitzuteilen,
wenn er eine sog. "Aura" erlebt, also eine Veränderung der Gefühls-,
Geruchs-, Geschmacks- und Lichtwahrnehmung.
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Manche Bewohner zeigen Tage oder Stunden
vor dem Anfall Verhaltensauffälligkeiten wie etwa Schwindel,
Reizbarkeit, Unruhe oder Apathie. Dazu kommen oft Schlafstörungen,
Angstzustände, Übelkeit oder Kopfschmerzen. Manche Betroffene sind in
der Lage, diese Zeichen richtig zu deuten. Sie spüren also den nahenden
Anfall.
-
Der Betroffene sollte ein Zimmer nahe dem
Dienstzimmer bewohnen. Sein Zustand wird engmaschiger überwacht, als
dieses bei einem gesunden Bewohner erforderlich wäre.
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Gegenstände, die ein hohes
Verletzungsrisiko beinhalten, werden aus dem Zimmer des Bewohners
entfernt. Dies gilt etwa für scharfkantige Möbelstücke.
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Sofern der Bewohner damit einverstanden
ist, wird in den Ruhezeiten das Bettgitter hochgefahren. Ggf. wird ein
gepolstertes Bettgitter angebracht.
Durchführung:
Versorgung während
des Anfalls
-
Wenn der Bewohner noch steht, wird er
vorsichtig auf den Boden mobilisiert. Er wird während des gesamten
Anfalls dort belassen. Der Bewohner wird nicht in sein Bett gebracht.
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Der Kopf wird auf eine Decke oder auf ein
Kissen gelegt.
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Gegenstände im Umkreis des Bewohners
werden weggeräumt, etwa Stühle, Beistelltische usw. (siehe Bild)
-
Der Bewohner wird von gefährlichen
Bereichen weggezogen, etwa von Heizungskörpern oder von
Treppenabsätzen. Der Bewohner wird dabei von hinten am Kopf und am
Schulterbereich gefasst.
-
Die Pflegekraft blickt auf die Uhr.
(Hinweis: Dieses ist wichtig, um die Dauer des Anfalls zu erfassen. In
der Hektik wird es aber allzu leicht vergessen.)
-
Es besteht die Gefahr, dass die Zunge
zurückfällt und die Atmung erschwert. Falls möglich wird dem Bewohner
daher eine Mullbindenrolle, ein zusammengerolltes Taschentuch
oder ein Guedeltubus zwischen die obere und die untere Zahnreihe
geschoben. Dabei muss behutsam vorgegangen werden. Ein gewaltsames
Öffnen der Zahnreihen ist für Pflegekräfte wie den Bewohner
gleichermaßen gefährlich. (Der Punkt ist umstritten: Einige Mediziner
empfehlen nichts zwischen die Zähne zu schieben, da das
Verletzungsrisiko für beide Parteien nur noch erhöht wird.)
-
Eine Pflegekraft beobachtet den
Anfallstyp und die Dauer. Diese Informationen sind später wichtig, um
die Diagnose und Therapie darauf einstellen zu können.
-
Dem Bewohner werden während eines Anfalls
keine oralen Medikamente oder sonstige Flüssigkeiten eingegeben. Es
besteht eine hohe Aspirationsgefahr.
-
Die krampfenden Arme und Beine werden
nicht festgehalten, da es zu Frakturen oder zu Distorsionen (Verletzung
eines Bandes oder einer Gelenkkapsel) kommen kann.
-
Sobald keine Verletzungsgefahr mehr
besteht, wird der Bewohner in eine stabile Seitenlage gebracht.
-
Erbricht der Bewohner während eines
Anfalls, wird das Erbrochene vorsichtig aus seiner Mundhöhle entfernt.
Es besteht Bissgefahr.
-
Neugierige Mitbewohner, die das Geschehen
verfolgen, werden aus dem Raum gebeten.
-
Einengende Kleidung wird gelockert.
-
Wir prüfen, ob der Bewohner sein
Bewusstsein vollständig oder nur teilweise verloren hat. Wir fordern
ihn auf, sich ein einfaches (von uns zufällig gewähltes) Wort
einzuprägen, etwa "Haus", "Baum" oder "Tisch". Wenn er dieses Wort nach
dem Anfall wiederholen kann, blieb das Bewusstsein zumindest in Teilen
erhalten. Dieser Punkt ist wichtig bei der Planung der weiteren
Maßnahmen.
-
Der Notarzt wird gerufen, wenn eine der
folgenden Bedingungen erfüllt ist:
-
Der Bewohner hat bislang
noch nie einen Anfall erlitten.
-
Der Anfall dauerte länger
als 10 Minuten.
-
Es kam zu mehreren
kleinen Anfällen in enger zeitlicher Abfolge.
-
Die Zahnprothese hat sich
gelöst und ist in Rachenrichtung gefallen.
-
Falls eine entsprechende
Bedarfsmedikation besteht, werden (ggf. per Rectiole oder als
Injektion) krampflösende Arzneimittel verabreicht. (Hinweis: In
Fachkreisen wird gestritten, zu welchem Zeitpunkt derartige Wirkstoffe
verabreicht werden sollten. Häufig wird die Ansicht vertreten, dass
Diazepam© bei einem vereinzelten Krampf nicht gegeben werden sollte,
sondern erst bei Krampfserien oder lange anhaltenden Krämpfen.)
-
Der Blutzuckerspiegel wird kontrolliert.
Eine Hypoglykämie muss ausgeschlossen werden.
-
Bei schweren Atemstörungen (Zyanose) muss
der Bewohner beatmet werden.
Versorgung nach dem
Anfall
-
Der Bewohner wird nach dem Ende des
Anfalls bis zur Wiedererlangung des Bewusstseins in der stabilen
Seitenlage belassen, um eine Aspiration zu vermeiden.
-
Das Bewusstsein, die Atmung und der
Kreislauf werden regelmäßig überprüft.
-
Falls es zu Stuhl- oder Urinabgängen kam,
wird eine Intimpflege durchgeführt.
-
Erlittene Wunden werden angemessen
versorgt. Kleine Platzwunden können mit einer sterilen Kompresse
abgedeckt werden.
-
Wenn es zu größeren Verletzungen im
Mundraum gekommen ist (Wangen- oder Zungenbiss), wird eine
fachärztliche Versorgung angeregt. Bei kleineren Blessuren kann eine
Mundspülung ausreichen.
-
Bei Kopfschmerzen kann die Stirn des
Bewohners mit Pfefferminzöl eingerieben werden. Sofern es als
Bedarfsmedikation verordnet wurde, erhält der Bewohner ein
Schmerzmittel.
-
Dem Bewohner wird erklärt, dass er in den
nächsten Tagen wegen der Krampfbewegungen mit Muskelkater zu rechnen
hat.
-
Dem Bewohner wird Gelegenheit gegeben,
sich zu erholen. Er wird während des Schlafens so wenig wie möglich
gestört. Mitbewohner werden zu entsprechender Rücksichtnahme
aufgefordert.
Nachbereitung:
allgemeine Maßnahmen
-
Die psychosoziale Betreuung des Bewohners
wird intensiviert. Als Folge eines Anfalls kann sich beim Bewohner eine
depressive Stimmung verfestigen. Viele Betroffene leiden unter einem
Gefühl der Hilflosigkeit.
-
Ggf. wird der Kontakt zu einer
Selbsthilfegruppe vermittelt.
Dokumentation
Für
die Diagnostik und für die Therapie ist es von entscheidender
Bedeutung, dass das Anfallsgeschehen möglichst präzise beobachtet und
festgehalten wird. Da Pflegekräfte selten das Anfallsgeschehen von
Anfang an beobachtet haben, werden ggf. Mitbewohner oder Besucher
befragt.
Der Verlauf des Anfalls wird dokumentiert. Kriterien dafür sind:
-
Beginn und Ende des Anfalls
-
Initialschrei
-
plötzliches Hinfallen
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Streckkrampf
-
Atemstillstand für einige Sekunden
-
Zuckungen, Verkrampfungen
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Zungenbissverletzungen
-
schaumiger Speichel vor dem Mund
-
Stuhl- und Urinabgang
-
anschließender tiefer Schlaf
-
Bewusstlosigkeit
-
fehlende Erinnerung an den Krampf
-
Verletzungen (als Folge von Kollisionen
mit dem Mobiliar u.Ä.)
Ursachenforschung
Sofern
die Ursache für den Krampfanfall nicht bereits bekannt ist, prüfen wir
gemeinsam mit dem Hausarzt, welche Auslöser für den Anfall in Betracht
kommen. Etwa:
-
ungewöhnlich hoher Stress
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Nichteinnahme von Antiepileptika
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Alkoholmissbrauch
-
Nebenwirkungen von Medikamenten,
insbesondere Medikamentenmissbrauch
-
Drogenmissbrauch
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hohes Fieber
-
übermäßige Sonnenexposition
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Unterzuckerung
-
Menstruation (bei Seniorinnen naturgemäß
kein Faktor mehr)
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Flackerlicht (defekte Neonröhre o.Ä.)
-
Schlafmangel
Hinweis: Die Auswertung der Ursachen sollte nicht dazu führen, dass der
Bewohner mit allerlei Verboten konfrontiert wird. Das Konsum- und das
Freizeitverhalten sollten sich nicht ausschließlich danach richten, ob
es einen Anfall fördert oder nicht.)
Anpassung der
Pflegeplanung
Falls notwendig wird
die Pflegeplanung und die weitere Versorgung angepasst.
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Gemeinsam mit dem Arzt wird die
regelmäßige Medikamenteneinnahme verändert. Medikamente werden immer
schrittweise abgesetzt.
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Die Maßnahmen im Rahmen der
Sturzprophylaxe werden intensiviert. Insbesondere sollte der Einsatz
von Hüftprotektoren erwogen werden.
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Ggf. wird dem Bewohner empfohlen, einen
Schutzhelm zu tragen.
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Ggf. wird die Anschaffung eines
Assistenzhunds für Epileptiker (sog. "Epilepsiehund") geprüft.
Dokumente:
-
Berichtsblatt
-
Vitaldatenblatt
-
Medikamentenblatt
Verantwortlichkeit
/ Qualifikation:
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