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Standard "Pflege von
Senioren mit einer Abführmittelabhängigkeit"
Einen alten Menschen von Laxanzien
(Abführmittel) zu entwöhnen, ist oft schwieriger als einen
Alkoholiker von der Flasche zu bekommen. Zumeist ist die
Abhängigkeit soweit gefestigt, dass Pflegekräfte wohl oder übel
mit den zahlreichen Folgen leben müssen. Die Hersteller wissen
schon, warum die Beipackzettel so klein gedruckt sind, dass sie
kein 80-Jähriger mehr lesen kann.
Pflege von
Senioren mit einer Abführmittelabhängigkeit
Definition:
-
Bedingt durch ballaststoffarme Ernährung,
beeinträchtigte Darmperistaltik oder als Nebenwirkung von
Medikamenten (z.B. Opioide oder Antazida) kann es zu
Funktionsstörungen im Magen-Darmtrakt kommen. Diese zeigen sich
durch eine verzögerte Darmentleerung oder durch Obstipation
(Verstopfungen). Laxanzien (Abführmittel) beschleunigen durch
verschiedene Wirkungsmechanismen die Stuhlentleerung.
-
Laxanzien werden in unserer Gesellschaft viel
zu oft und unkritisch eingesetzt. Eine Obstipation lässt sich
zumeist auch durch schonende Strategien vermeiden oder auflösen,
etwa durch mehr ballaststoffreiche Nahrung, vermehrte
Flüssigkeitsaufnahme sowie mehr körperliche Bewegung.
-
Befördert wird der unnötige Konsum
insbesondere auch durch Werbung im Fernsehen oder in der
Laienpresse, die den Eindruck erweckt, dass sich eine ungesunde
Lebensführung durch die Einnahme von Medikamenten kompensieren
ließe. Zudem wird eine gute Verträglichkeit vorgegaukelt.
-
Die Gefahr bei einer langfristigen
Laxanzieneinnahme besteht darin, dass sich der Körper an die
Präparate gewöhnt. Um eine konstante Stuhlentleerung
sicherzustellen, müssen Betroffene die Dosis ständig erhöhen und
immer gravierendere Nebenwirkungen erdulden.
-
Ein Missbrauch liegt vor, wenn es für die
Nutzung der Laxanzien keine hinreichende Indikation gibt; wie etwa:
-
kürzlich zurückliegende Operationen im
Magen-Darm-Bereich
-
anstehende medizinische Untersuchungen,
insbesondere Koloskopie, Röntgenuntersuchung usw.
-
schmerzhafte Stuhlentleerung, etwa als
Folge von Analfissuren oder Hämorrhoiden
-
versehentliche Einnahme von toxischen
Substanzen
-
medikamentös bedingte Obstipation,
insbesondere bei Opioiden
Je nach Wirkungsweise werden unterschieden:
-
Quellstoffe: Diese Präparate nehmen im Darm
Flüssigkeit auf und beginnen zu quellen. Die Dehnung des Darmes
stimuliert den Defäkationsreiz. Der Patient kann nach spätestens 12
Stunden Stuhl absetzen. Für die Herstellung dieser Wirkstoffe werden
Leinsamen, Flohsamen oder Weizenkleie genutzt. Vertrieben werden
Quellstoffe etwa unter den Handelsnamen "Metamucil", "Laxiplant"
oder "Normacol".
-
Osmolaxanzien: Osmotisch wirkende Laxanzien
bestehen aus schwer resorbierbaren Substanzen, die das Wasser im
Darm zurückbehalten. Der Stuhl wird weicher oder sogar
vergleichsweise flüssig. Das erhöhte Darmvolumen löst den
Defäkationsreiz aus. Basis für diese Präparate sind Bitter- und
Glaubersalz.
-
Gleitmittel: Diese Stoffe, vor allem
Paraffin, überziehen den Stuhl mit einem wasserundurchlässigen Film.
Dieser hält die Feuchtigkeit im Darminhalt zurück, weicht ihn damit
auf und erhöht die Gleitfähigkeit. Der verringerte mechanische
Widerstand erleichtert also die Darmpassage des Stuhls. Im Handel
sind Gleitmittel unter den Bezeichnungen "Agaroletten" oder "Florisan"
zu finden.
-
Anthrachinonhaltige Laxanzien. Diese Stoffe
verändern den Flüssigkeits- und Salztransfer im Darm. So wird die
Resorption von Wasser und Natriumionen vom Darm in den Körper
gehemmt. Gleichzeitig fördern diese Präparate das Einströmen von
Elektrolyten und Wasser in den Darm. Je mehr Wasser ein Patient zu
sich nimmt, umso schneller wird die abführende Wirkung spürbar. Acht
bis zehn Stunden sind der Durchschnittswert.
-
Synthetische Laxanzien. Diese Stoffe wirken
ähnlich wie anthrachinonhaltige Laxanzien, allerdings tritt die
Wirkung schneller ein. Werden sie oral eingenommen, erfolgt die
Defäkation nach rund vier bis sechs Stunden. Eine rektale
Verabreichung führt bereits nach einer halben Stunde zum gewünschten
Resultat.
-
Rizinusöl. Die Wirkung dieses aus dem Samen
des Rizinusbaumes ("Wunderbaum") gewonnenen Öls ist ähnlich wie die
der anthrachinonhaltigen Laxanzien. Es wirkt allerdings deutlich
schneller.
Grundsätze:
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Abführmittelabhängigkeit ist kein Tabuthema.
Wir sprechen diese Krankheit offen an und verheimlichen sie nicht.
-
Jeder Patient hat trotz aller Risiken das
Recht, Abführmittel in jeder gewünschten Menge zu sich zu nehmen.
Pflegekräfte können dem Patienten zwar eine Änderung seines
Verhaltens nahe legen, eine Beschlagnahme der Präparate ist jedoch
nicht möglich.
-
Die Überwindung einer gefestigten
Abhängigkeit überfordert oftmals die Willensstärke eines
hochbetagten Senioren. Wir wägen daher stets ab, ob es letztlich
nicht mehr Sinn macht, die Abhängigkeit hinzunehmen.
-
Unsere Möglichkeiten zur Bekämpfung von
Abführmittelabhängigkeit sind begrenzt. Wenn unsere Mittel nicht
reichen, prüfen wir eine Überstellung des Patienten an eine
Fachklinik.
-
Wir enthalten uns jeder moralischen Bewertung
zur Handlung des Suchtkranken. Unabhängig von der Verschuldensfrage
leisten wir jedes uns mögliche Maß an Hilfe.
-
Alle Maßnahmen zur Verringerung oder
Beseitigung der Abführmittelabhängigkeit bedürfen der Zustimmung und
Unterstützung durch den Patienten.
-
Eine möglichst frühzeitige Therapie ist zwar
wünschenswert, scheitert aber zumeist am mangelnden
Einsichtsvermögen des Patienten. Häufig ist eine sinnvolle Therapie
erst dann möglich, wenn der Patient einen psychischen und physischen
Tiefpunkt durchlitten hat.
-
Wir arbeiten eng mit Hausärzten und
Selbsthilfegruppen zusammen.
-
Gleichwohl werden die Vorgaben des Standards
"Obstipationsprophylaxe" und des Standardpflegeplans "Obstipation
und Obstipationsprophylaxe" umgesetzt.
Ziele:
-
Dem Patienten sind die Risiken bewusst. Er
weiß, mit welchen gesundheitlichen Folgen der regelmäßige
Laxanzienkonsum verbunden ist.
-
Die Abhängigkeit wird überwunden. Der Patient
ist in der Lage, ohne Laxanzien abzuführen.
-
Falls die Sucht nicht überwunden werden kann,
sollte zumindest die Dosis der regelmäßig eingenommenen Laxanzien
schrittweise reduziert werden. Zudem sollten aggressive Präparate
sukzessive gegen schonendere Wirkstoffe ersetzt werden.
-
Wenn der Patient nicht willens oder in der
Lage ist, die Sucht zu überwinden, werden zumindest die
gesundheitlichen Risiken reduziert. Mangelzustände werden durch eine
angepasste Ernährung kompensiert. Körperliche Gefahrensituationen
werden schnell erkannt.
-
Es soll keine Suchtverlagerung erfolgen, etwa
zu Zigaretten oder Alkohol.
-
Die finanziellen Ressourcen des Patienten
sollen geschont werden. Der Patient soll keine unnötigen Medikamente
kaufen.
Vorbereitung:
Informationssammlung
Wir sammeln Informationen, die für
die Risikobewertung relevant sind.
-
Wie lange nimmt der Patient die Laxanzien
bereits ein?
-
Wie hoch ist die aktuelle Dosis?
-
Musste der Patient die Dosis bereits
steigern?
-
Gelang es dem Patienten bereits einmal, die
Abhängigkeit zumindest zeitweise zu überwinden?
-
Welche Folgen treten auf, wenn der Patient
die Laxanzien reduziert oder absetzt?
-
Unter welchen Nebenwirkungen der Laxanzien
leidet der Patient aktuell?
-
Ist der Patient gewillt, seine Lebensweise zu
ändern, um den Konsum von Laxanzien unnötig zu machen?
Beratung:
-
Wir verdeutlichen dem Patienten, dass
Laxanzien nicht geeignet sind, um das Körpergewicht zu senken oder
das "Flache-Bauch-Gefühl" zu bekommen. Wir bieten dem Patienten
stattdessen an, gemeinsam Strategien für eine gesündere Ernährung
und mehr körperliche Bewegung zu entwickeln.
-
Wir raten dem Patienten, ärztliche und
psychologische Hilfe zu suchen. Durch eine schrittweise Reduzierung
des Abführmittelkonsums kann oftmals die Abhängigkeit überwunden
werden (sog. "Ausschleichen").
-
Wir prüfen, ob der Patient falsche
Vorstellungen von der Anzahl der Stühle pro Woche hat. Wir
verdeutlichen ihm, dass ein Stuhlgang alle drei Tage eine akzeptable
Frequenz ist, die nicht durch Laxanzien erhöht werden muss.
Durchführung:
Wenn es uns nicht
möglich ist, die Abhängigkeit zu überwinden, beschränken wir uns
zunächst darauf, die Schäden durch den Laxanzienkonsum zu begrenzen.
Zudem müssen ggf. lebensgefährliche Gesundheitszustände schnell erkannt
werden.
Quellstoffe:
-
Die Einnahme muss mit viel Wasser oder
Fruchtsaft erfolgen. Ansonsten kann der Magen-Darm-Trakt verkleben
und es kommt zum Ileus (Darmverschluss).
Osmolaxanzien
-
Salinische Abführmittel (Natriumsulfat;
"Glaubersalz") dürfen nicht bei einer Niereninsuffizienz eingenommen
werden, da es sonst zu einer Muskelschwäche kommen kann. Zudem
fördern diese Stoffe das Auftreten einer Hypertonie. Die gemeinsame
Einnahme mit Digitalis und Tetrazyklinen ist kontraindiziert.
-
Bei Lactulose (schwer zu resorbierender
Zucker) kann es zu Blähungen kommen.
-
Insbesondere bei Einnahme von Salzen kann es
bei Senioren schnell zu einer Dehydratation kommen. Diese zeigt sich
dann durch Krämpfe, Verwirrtheit und unregelmäßigen Herzschlag.
Gleitmittel
-
Glyzerinzäpfchen sind häufig so weich, dass
das Einführen scheitert. Dieses insbesondere, wenn die Stuhlmasse im
Darm bereits verhärtet ist. Die Zäpfchen sollten daher ggf. 30
Minuten im Kühlschrank gehärtet werden.
-
Paraffin subliquidum kann bei Dauergebrauch
zu einem Vitaminmangel führen (etwa bei Vitamin A, K, E und D), da
diese Stoffe im Darm nicht mehr aufgenommen werden können. Zudem
kann diese Laxans die Funktion des Afterschließmuskels
beeinträchtigen.
-
Immobile Patienten dürfen kein Paraffin
subliquidum oral einnehmen, da eine versehentliche
Paraffininhalation zur Pneumonie führen kann.
-
Als Monotherapeutikum sind Gleitmittel
zumeist ungeeignet. Sie werden daher oftmals mit anderen Laxanzien
kombiniert eingesetzt.
Anthrachinonhaltige Laxanzien
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Verschiedene Bestandteile werden über die
Niere und den Harn ausgeschieden. In der Folge wird der Urin ggf.
rot eingefärbt. Dieses kann leicht dazu führen, dass
fälschlicherweise eine Blutung angenommen wird.
-
Verschiedene Präparate dürfen nicht gemeinsam
mit Milch oder mit Antazida ("Magentabletten") eingenommen werden,
da diese den magensaftresistenten Schutzbezug neutralisieren würden.
In der Folge werden die aggressiven Stoffe bereits im Magen und
nicht erst im Darm freigesetzt.
Nachbereitung:
-
Alle Maßnahmen werden sorgfältig
dokumentiert. Insbesondere muss aus der Dokumentation deutlich
hervorgehen, dass wir dem Patienten regelmäßig Unterstützung bei der
Überwindung der Sucht anbieten. Klar muss auch sein, dass der
Patient die Laxantien gegen unsere Empfehlung einnimmt.
-
Wir bieten unseren Pflegekräften regelmäßig
Supervision an.
Dokumente:
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Pflegebericht
-
Pflegeplanung
Verantwortlichkeit /
Qualifikation:
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Pflegefachkräfte
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Pflegehilfskräfte
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