pqsg mobil
Start Index Impressum
Diese Seiten wurden für Smartphones optimiert. Für die PC-Version klicken Sie bitte hier.

Standard "Umgang mit Psychopharmaka"

Psychopharmaka in der Altenpflege zählen nach zahlreichen Skandalen zu den heißen Eisen. Der Grat zwischen sinnvollem Einsatz und Missbrauch ist schmal - und Pflegekräfte daher oftmals verunsichert. Ein guter Standard kann helfen, klare Eckpunkte zu definieren und alle beteiligten Mitarbeiter rechtlich besser abzusichern.


Standard "Umgang mit Psychopharmaka"


Definition:

Psychopharmaka sind Wirkstoffe, die Einfluss auf das Zentralnervensystem nehmen. Zu dieser Gruppe zählen etwa Antidepressiva, Neuroleptika, Tranquilizer, aber auch Lithium, Schlafmittel und Sedativa.


Grundsätze:

  • Psychopharmaka müssen immer zurückhaltend genutzt werden, da sie tief in die Psyche eines Bewohners eingreifen und dessen Stimmung und Emotionen verändern.
  • Wir beachten, dass viele Psychopharmaka zuerst die Antriebslosigkeit und erst später die depressive Stimmungen mindern. In dieser Zeit besteht eine hohe Suizidgefahr.
  • Wir werden Psychopharmaka niemals einsetzen, um Bewohner ruhig zu stellen und auf diese Weise den Arbeitsaufwand zu reduzieren.
  • Das eigenmächtige Verabreichen von Psychopharmaka ohne ärztliche Anordnung wird in unserer Einrichtung nicht geduldet.
  • Wir betrachten Psychopharmaka als letztes Mittel, wenn alle alternativen Behandlungsstrategien gescheitert sind.
  • Als Altenpflegeeinrichtung sind unsere Möglichkeiten zur Pflege von psychisch kranken Menschen begrenzt. Wenn sich Bewohner dauerhaft der Therapie widersetzen, prüfen wir die Verlegung in eine entsprechende Fachklinik.
  • Elementar im Umgang mit Psychopharmaka ist eine genaue Dokumentation aller Beobachtungen und Maßnahmen.
  • Das Stellen und Verteilen von Psychopharmaka ist Aufgabe von Pflegefachkräften und kann nicht an Pflegehilfskräfte delegiert werden.
  • Wir achten beim Kontakt mit Ärzten darauf, dass dieser gleichberechtigt, also auf "gleicher Augenhöhe" abläuft. Da wir unsere Bewohner täglich erleben und teilweise seit vielen Jahren kennen, beanspruchen wir ein Mitspracherecht bei der Auswahl der richtigen Therapie.

Ziele:

  • Der Bewohner nimmt Psychopharmaka exakt nach den ärztlichen Vorgaben ein.
  • Unsere Bewohner sollen vor Gesundheitsschäden geschützt werden.
  • Die Würde unserer Bewohner und insbesondere das Recht auf eigene Entscheidungen sollen geschützt werden.
  • Eine Abhängigkeit von Psychopharmaka soll vermieden werden.
  • Alle Alternativen zu Psychopharmaka sollen ausgeschöpft werden.

Vorbereitung:

Allgemeines

  • Wir bilden unsere Pflegekräfte regelmäßig zum Thema "Psychopharmaka in der Altenpflege" fort.
  • Wir stellen frühzeitig den Kontakt zu allen beteiligten Kooperationspartnern her, etwa Apothekern oder Ärzten.
  • Wir halten stets aktuelle Fachliteratur bereit, darunter immer auch ein Buch, das alle bei uns genutzten Medikamente detailliert beschreibt.

Symptombeschreibung

Bei psychischen Störungen kann sich der behandelnde Arzt nicht auf die Beschreibungen des Erkrankten allein verlassen. Er ist darauf angewiesen, dass Pflegekräfte ihm berichten, wie sich die Störung im alltäglichen Leben auswirkt. Wir sammeln daher für den Arzt alle relevanten Informationen:

  • Welches Verhalten zeigt der Bewohner?
  • Wie äußert er sich verbal und nonverbal?
  • Welche Ausfallerscheinungen treten auf?
  • Seit wann und wie häufig treten die Störungen auf?
  • Gibt es Situationen, Tageszeiten oder sonstige Begleitumstände, die zu einer Häufung oder Intensivierung der Symptomatik führen?
  • Gibt es Begleitumstände, die dazu führen, dass die Störungen nicht oder nur schwächer auftreten?
  • Welche Auswirkungen haben die Störungen auf die Lebensqualität des Bewohners?
  • Geht von dem Bewohner eine Gefahr für sich oder für andere aus?

Ursachensuche

Anhand der uns vorliegenden Informationen und unseren Beobachtungen suchen wir nach möglichen Auslösern für die Störung.

  • Relevant sind dabei insbesondere körperliche Störungen, die in vielen Fällen zu psychischen Verhaltensänderungen führen. Also etwa:
    • Schmerzen
    • Entzündungsprozesse
    • Harnverhalt
    • Obstipation
    • Dehydration
    • Mangel- oder Fehlernährung
  • Häufig kann die Störung auch auf räumliche oder soziale Faktoren zurückgehen; also etwa auf den erst unlängst erfolgten Heimeinzug oder etwa auf einen Streit mit einem Mitbewohner oder Angehörigen.
    • Wir prüfen, ob die Verhaltensauffälligkeiten im Zusammenhang mit einer Änderung der Medikation stehen könnten.
    • Hat der Bewohner ein neues Medikament erhalten, zu dessen Nebenwirkungen die fraglichen psychischen Störungen zählen?
    • Nimmt der Bewohner ein Medikament, das mit einem anderen Arzneimittel in Wechselwirkung treten könnte?
    • Wurde die Dosis eines Medikaments in letzter Zeit erhöht?
    • Wurde ein Medikament abgesetzt?
  • Wir prüfen zudem, ob Suchtverhalten ursächlich für die Symptomatik sein könnte.
    • Ist der Bewohner medikamenten- oder drogenabhängig?
    • Können die Störungen auf einen sog. "kalten Entzug" zurückzuführen sein, etwa weil die Versorgung des Bewohners mit Suchtstoffen unterbrochen wurde?

Alternativen zu Psychopharmaka

  • Wir prüfen gemeinsam mit dem behandelnden Arzt, ob dem Bewohner mittels Psychotherapie oder Entspannungsverfahren geholfen werden kann. Dazu zählen:
    • Gesprächstherapie
    • Verhaltenstherapie
    • Gruppentherapie
    • Familientherapie
    • Hypnose
    • autogenes Training
    • Musiktherapie
  • Wir nutzen Bewegungstherapie, um insbesondere neurologische Symptome zu lindern. Dazu zählen:
    • passive Maßnahmen wie Lagerungen, Massagen oder Dehnübungen
    • aktive Maßnahmen wie Bewegungsübungen (etwa im Rahmen der Krankengymnastik)
  • Bei Störungen der Motorik, der Sinnesorgane sowie bei psychischen Defiziten kann die Ergotherapie eingesetzt werden.
  • Vor dem Einsatz von hochwirksamen Psychopharmaka prüfen wir die Nutzung von nichtverschreibungspflichtigen Wirkstoffen, etwa:
    • Baldrian
    • Johanniskraut
    • Hopfen
    • Passionsblume
    • Melisse als Tee oder Dragees

Durchführung:

allgemeine Sicherheitsmaßnahmen

  • Bewohner, die Psychopharmaka einnehmen, sollten sich ausreichend bewegen.
  • Wir achten darauf, dass die Wirkstoffe nicht überdosiert werden. Bei Senioren müssen zumeist deutlich geringere Dosierungen als bei jüngeren Erwachsenen verschrieben werden. Dieses Vorgehen wird als "start low, go slow" bezeichnet. Die Dosis wird zu Beginn der Therapie also so niedrig wie möglich gewählt und danach nur vorsichtig erhöht.
  • Wir beachten, dass eine übermäßige Flüssigkeitszufuhr zu einer Wirkungsreduktion führen kann.
  • Bei Krämpfen (etwa durch hochwirksame Neuroleptika) wird umgehend der (Not-)Arzt informiert.
  • Wir sorgen ggf. für eine regelmäßige Blutbildkontrolle.
  • Wir beachten, dass viele Psychopharmaka die Sturzgefährdung erhöhen.
  • Wenn bei einem Bewohner ein Vorrat an Psychopharmaka gefunden wird, die dieser durch Nichteinnahme gehortet hat, so werden diese dem Bewohner abgenommen.
  • Dem Bewohner werden ggf. nur Einzeldosen ausgehändigt (etwa für den Morgen), nicht aber der gesamte Bedarf für den ganzen Tag im Voraus.
  • Gemeinsam mit dem Bewohner und dem Betreuer diskutieren wir, inwieweit regelmäßige Kontrollen im Zimmer notwendig sind, etwa um das Horten von Psychopharmaka zu verhindern.
  • Bei Medikamenten, die die Reaktions- und die Entscheidungsfähigkeit beeinflussen, prüfen wir, ob der Bewohner die Einrichtung verlassen darf. Dieses gilt vor allem dann, wenn Verkehrsunfälle drohen.

Einnahme einer Bedarfsmedikation

Viele Psychopharmaka werden nicht ausschließlich dauerhaft genommen, sondern eignen sich auch als Bedarfsmedikation.

  • Wir drängen auf eine eindeutige Festlegung des Arztes zur Verabreichung von Bedarfsmedikationen. Er soll einen klaren Anlass (Indikation) definieren. Feststehen müssen auch die Stärke der Einmaldosierung, der frühste Zeitpunkt für eine erneute Anwendung sowie die Tageshöchstmenge.
  • Wenn Unsicherheiten zum Anlass, zur Dosis und Häufigkeit der Gabe bestehen, geben wir die Bedarfsmedikation ggf. nicht. Wir bitten den Arzt dann, die Verordnung zu konkretisieren.

korrekte Einnahme sicherstellen

  • Die Psychopharmaka dürfen zumeist nicht mit verschiedenen Lebensmitteln o.Ä. verabreicht werden, etwa:
    • größere Mengen Milch
    • Alkohol
    • Kaffee oder Schwarztee
    • Fruchtsäfte
    • Antazida
    • Kohlekompretten
  • Die Medikamentengabe erfolgt anhand der "6-R-Regel". Also:
    • richtiger Bewohner
    • richtiges Medikament
    • richtige Darreichungsform
    • richtige Haltbarkeit
    • richtige Dosierung
    • richtige Uhrzeit
  • Der Bewohner wird ggf. bei der Einnahme der Psychopharmaka beobachtet. Wenn es notwendig ist, kontrollieren wir die Mundhöhle.
  • Der Bewohner erhält für die Einnahme ein Glas Wasser.
  • Wir achten darauf, dass der Bewohner die Medikamente zügig einnimmt. Wenn sich etwa bei Dragees der Überzug auflöst, können diese bitter schmecken.

Beobachtung von Bewohnern

  • Das Verhalten von Bewohnern, die Psychopharmaka nehmen, wird genau beobachtet. Auffälligkeiten werden dokumentiert und umgehend dem behandelnden Arzt mitgeteilt.
  • 30 bis 60 Minuten nach der Einnahme wird überprüft, ob das Medikament die gewünschte Wirkung zeigt (etwa eine Sedierung).

Verweigerung der Einnahme

  • Falls ein Bewohner die Einnahme verweigert, versuchen wir zunächst den Grund dafür zu erfahren.
  • Ggf. vorhandene Befürchtungen versuchen wir im Dialog zu zerstreuen, etwa Ängste vor Nebenwirkungen oder Vergiftungswahnideen.
  • Nach der Verordnung durch den Arzt wird ggf. vereinbart, dass der Bewohner das Medikament nur einmal "probeweise" nimmt. Danach besprechen Pflegekraft und Bewohner, ob die Befürchtungen eingetreten sind.
  • Der Bewohner wird unter keinen Umständen zur Einnahme gezwungen. Stattdessen informieren wir den behandelnden Arzt und ggf. den Betreuer und besprechen dann das weitere Vorgehen.

Information des Bewohners

  • Wir informieren gemeinsam mit dem Arzt den Bewohner umfassend über Wirkungen und Nebenwirkungen der Psychopharmaka. Wir achten allerdings auch darauf, dass sich der Bewohner infolge der Information die Nebenwirkungen nicht einbildet.
  • Wir weisen den Bewohner darauf hin, dass viele Medikamente zu Beginn der Behandlung Nebenwirkungen zeigen, die mit der Zeit nachlassen.
  • Wir geben dem Bewohner Tipps, wie er Medikamente schonend einnehmen kann, also etwa mit Wasser oder mit den Mahlzeiten.

Wir achten auf spezifische Nebenwirkungen, die verschiedene Wirkstoffgruppen auslösen können. Insbesondere in den ersten Wochen der Behandlung werden diese dem Arzt regelmäßig und ggf. auch kurzfristig mitgeteilt.


Antidepressiva

  • Mundtrockenheit
  • verminderte Sekretabsonderung in der Nase
  • Trockenheit der Tränendrüsen
  • gestörtes Wärmeempfinden
  • Sehstörungen
  • Libido- und Potenzstörungen
  • Magen- und Darmbeschwerden, Obstipation
  • Probleme beim Wasserlassen
  • Suizidgefahr (wenn antriebssteigernde Antidepressiva eingenommen werden)
  • Bewegungsstörungen (bei MAO-Hemmern)
  • Herzrhythmusstörungen
  • Kreislaufstörungen, Tachykardie
  • Blutdruckschwankungen
  • Kopfschmerzen
  • Ödeme im Gesicht (selten)
  • Juckreiz (selten)
  • Blutbildveränderungen

Neuroleptika

  • Mundtrockenheit, veränderte Speichelproduktion
  • Sehstörungen
  • Obstipation
  • Appetitsteigerung und Gewichtszunahme
  • Probleme beim Wasserlassen
  • Krämpfe, insbesondere Zungen-, Schlund- und Blickkrämpfe
  • depressive Verstimmung
  • Unruhezustände
  • Bewusstseinseintrübung
  • Schlaflosigkeit
  • Kreislaufprobleme, Abgeschlagenheit, Müdigkeit
  • allergische Hauterscheinungen
  • Thrombosen
  • Leberfunktionsstörungen
  • Fieber (Lebensgefahr!)
  • gestörtes Wärmeempfinden
  • Blutbildveränderungen
  • Kopfschmerzen

Neurotropika

  • Magen- und Darmbeschwerden
  • Störungen der Psyche und der Motorik

Psychoanaleptika

  • Magen- und Darmbeschwerden
  • Erregungszustände, sowohl psychotischer, psychischer und motorischer Natur

Tranquillanzien

  • Ausbildung einer körperlichen wie psychischen Abhängigkeit
  • Hangover-Effekt (Wirkung hält länger als beabsichtigt an)
  • Müdigkeit
  • Muskelrelaxation vor allem in der Nacht und somit erhöhte Sturzgefahr
  • paradoxe Wirkung bei älteren Menschen eher möglich, also Erregung und Verwirrtheit
  • Blutdruckabfall und Schwindelgefühle
  • Atem- und Kreislaufschwierigkeiten
  • drohende Gesundheitsgefährdung, wenn der Bewohner unter Muskelschwäche leidet
  • Verschleimung der Atemwege
  • Magen- und Darmbeschwerden

Lithium

  • mögliche Strumabildung, die sich durch regelmäßiges Messen des Halsumfanges erkennen lässt.
  • Zittern (anfangs)
  • Durchfall
  • Ödeme
  • Nierenschäden
  • Erbrechen

Nachbereitung:

kritisches Hinterfragen:

  • Wir führen regelmäßig Teambesprechungen durch, um Informationen auszutauschen und unser Handeln zu vereinheitlichen.
  • Eine Dauermedikation sollte erst dann durchgeführt werden, wenn sich die Nutzung einer Bedarfsmedikation als unzweckmäßig herausgestellt hat.
  • Wir diskutieren stets, ob die Wirkung in Relation zu den Nebenwirkungen steht. Wenn der Bewohner unter den Nebenwirkungen mehr leidet als unter der psychischen Erkrankung selbst, so regen wir beim Arzt eine Umstellung der medikamentösen Therapie an.
  • Wir diskutieren mit dem Arzt, ob verschiedene Medikamente verzichtbar sind, etwa weil sich die auslösende Krankheit im Laufe der Jahre gebessert haben könnte. Wir prüfen dann stets, innerhalb welchen Zeitraumes der Wirkstoff ausgeschlichen werden kann.
  • Spätestens wenn mehrere Psychopharmaka parallel verabreicht werden, hinterfragen wir nachdrücklich die Angemessenheit der Therapie. Diese sog. "psychiatrische Polypharmazie" ist in den meisten Fällen übertrieben und führt zu unnötigen Verschlechterungen der Lebensqualität.

Allgemeines

  • Alle gewonnenen Informationen werden in der Pflegedokumentation festgehalten.
  • Die Pflege von Bewohnern, die Psychopharmaka nehmen, wird regelmäßig in Fallbesprechungen thematisiert.
  • Die Pflegeplanung wird regelmäßig aktualisiert.
  • Alle für die medizinische Behandlung relevanten Informationen werden an den Arzt weitergeleitet.

Dokumente:

Pflegedokumentation


Verantwortlichkeit / Qualifikation:

Pflegefachkräfte