pqsg mobil
Start Index Impressum
Diese Seiten wurden für Smartphones optimiert. Für die PC-Version klicken Sie bitte hier.

Standard "Pflege von Senioren mit Schluckstörungen (Dysphagie)"

Wer schon einmal eine richtig "fiese" Mandelentzündung durchgemacht hat, kann nachempfinden, welches Leiden sich hinter dem Wort "Dysphagie" verbirgt. Da fast jeder zweite Senior über 70 Jahre zumindest zeitweise unter Schluckstörungen leidet, sollten die wichtigsten Richtlinien zur Pflege von Betroffenen in einem Standard zusammengefasst werden.


Standard "Pflege von Senioren mit Schluckstörungen (Dysphagie)"


Definition:

Die Schluckstörung oder Dysphagie ist eine Beeinträchtigung der Schluckfähigkeit vom Mund bis zum Mageneingang. Je nach Lokalisation der Störungsursache werden zwei Formen unterschieden:

  • Bei einer "oropharyngealen Dysphagie" liegt die Störung bereits zu Beginn des Schluckakts vor. Etwa:
    • Mandelentzündung (Angina tonsillaris)
    • Verschlucken mit Hustenanfällen beim Essen
    • nasales Zurückströmen (nasale Regurgitation)
    • ggf. bei Aspiration
  • Bei einer "ösophagealen Dysphagie" ist die Passage für feste und flüssige Nahrung erschwert. Es kommt häufig zum Würgereiz und Erbrechen.
Eine weitere Unterscheidung wird zwischen einer primären und einer sekundären Dysphagie vorgenommen.
  • Bei einer primären Dysphagie liegt die Ursache in einem allgemeinen physiologischen Alterungsprozess.
  • Bei einer sekundären Dysphagie ist die Schluckstörung die Folge von anderen Krankheiten wie etwa einem Schlaganfall, Morbus Parkinson, Multiple Sklerose oder einer anderen neurologischen Schädigung.
Schluckstörungen sind häufig anzutreffen (Angaben der Ärztekammer Nordwürttemberg 2/2002):
  • 10 bis 15 Prozent aller Patienten mit Akuterkrankungen sind von Schluckstörungen betroffen.
  • 30 bis 55 Prozent aller Heimbewohner leiden unter Schluckstörungen.
  • Bis zu 50 Prozent aller neurologischen Patienten entwickeln eine Schluckstörung.
  • 6 bis 10 Prozent aller Schlaganfallpatienten versterben binnen des ersten Jahres an einer Aspirationspneumonie.
  • 62 Prozent aller Patienten, die an einer Aspirationspneumonie erkranken, überleben diese nicht.

Grundsätze:

  • Eine Schluckstörung ist eine potentiell lebensbedrohliche Funktionsstörung, die in jedem Fall angemessen therapiert werden muss.
  • Eine Schluckstörung kann nur dann behandelt werden, wenn der Betroffene willens und in der Lage ist, bei der Therapie aktiv mitzuwirken. Wir müssen es daher akzeptieren, dass sich Schluckstörungen insbesondere bei Demenzpatienten oft trotz größter Anstrengungen unsererseits nicht bessern werden.
  • Einem Bewohner darf nur dann Essen eingegeben werden, wenn sichergestellt ist, dass der Schluckreflex funktioniert. Dieses ist Aufgabe von Pflegefachkräften.
  • Speichelverlust ist ein ernstes Anzeichen für Schluckstörungen. Keinesfalls darf dieses Symptom als harmloses "Alterssabbern" abgetan werden.

Ziele:

  • Die Schluckstörung wird schnell und korrekt erkannt.
  • Die Ursachen werden sicher eingegrenzt und nach Möglichkeit behoben.
  • Der Bewohner aspiriert keine Nahrungsmittel und erleidet keine Pneumonie.
  • Der Bewohner erleidet keine Schmerzen.
  • Der Bewohner akzeptiert die notwendigen Maßnahmen, Übungen usw. und arbeitet aktiv an seiner Gesundung mit.
  • Der Bewohner erleidet keine Unterernährung und keinen Flüssigkeitsmangel.

Vorbereitung:

allgemeine Vorbereitung

  • Wir halten ggf. ein Absauggerät bereit. Dieses ist vor allem bei Bewohnern mit hohem Aspirationsrisiko unverzichtbar.
  • Unsere hauswirtschaftlichen Mitarbeiter werden aufgefordert, relevante Beobachtungen an den Pflegebereich weiterzuleiten. Dieses etwa, wenn ein Bewohner im Speisesaal an Schluckstörungen leidet.
  • Wir prüfen stets, ob Medikamente zu einer Schluckstörung führen können oder diese fördern.
  • Unsere Pflegekräfte werden regelmäßig zum Thema Schluckstörungen fortgebildet.
  • Die Pflege von Senioren mit Schluckstörungen ist Teil der Einarbeitung neuer Mitarbeiter.
  • Wir halten stets aktuelle Literatur zum Thema Schluckstörungen bereit.
  • Wir empfehlen allen Pflegekräften, sich testweise von Kollegen selbst das Essen anreichen zu lassen; dieses insbesondere in verschiedenen Körperlagen (sitzend, liegend usw.)

Informationssammlung und Ursachensuche

Wir sammeln wichtige Informationen, die für die Pflege und Therapie wichtig sind. Etwa:

  • Wie waren die bisherigen Ernährungsgewohnheiten des Bewohners?
  • Wie gut ist der Ernährungszustand des Bewohners?
  • Wie gut ist die Flüssigkeitsversorgung des Bewohners? Ist die Mundschleimhaut ausgetrocknet?
  • Trägt der Bewohner eine Zahnprothese? Ist der Sitz der Prothese noch angemessen?
  • Klagt der Bewohner über Schmerzen? Wo?
  • Gibt es Bewusstseinseintrübungen?
  • Gibt es Entzündungen oder Verletzungen im Mund- und Rachenraum? Insbesondere: Leidet der Bewohner unter einer Angina tonsillaris (sog. "Mandelentzündung")?
  • Gibt es eine Obstruktion (Verschluss) im Ösophagus (Speiseröhre)?
  • Wurde der Bewohner in letzter Zeit im Mund- und Rachenraum operiert?
  • Wurde der Bewohner über längere Zeit beatmet?
  • Ist eine neurologische Krankheit oder Schädigung bekannt?
  • Gibt es Anzeichen für psychische Ursachen? Hat sich der Bewohner negativ über die Qualität der Küche geäußert? Leidet der Bewohner unter Depressionen?

Symptome

Wir achten auf Symptome, die für eine Schluckstörung sprechen:

  • raue und belegte Stimme, Heiserkeit
  • wiederholtes Räuspern, Husten oder Würgen
  • vermehrt aus dem Mund ausfließender Speichel
  • Austritt von Lebensmitteln durch die Nase
  • Niesen, wenn die Nahrung in den Nasen-Rachen-Raum eindringt
  • angestrengtes und wiederholtes Schlucken
  • Sensibilitätsstörungen im Mundbereich
  • Ablagerung von Nahrungsresten in den Backentaschen
  • Unvermögen die Lippen zu schließen
  • hoher Zeitaufwand für das Essen

Ressourcen

Wir stellen die Ressourcen zusammen, mit deren Hilfe der Bewohner die Dysphagie überwinden oder ihre Folgen lindern kann. Etwa:

  • Der Bewohner kann verschiedene Lebensmittel ohne Probleme zu sich nehmen, etwa pürierte Speisen.
  • Die Schluckstörungen sind nur vorübergehend, etwa als Folge einer Operation.
  • Der Bewohner befindet sich in einem guten Allgemeinzustand.
  • Die Ernährung wird auf andere Weise gesichert, etwa über eine PEG oder PEJ.

Durchführung:

Umstellung der Ernährung

  • Die Normalisierung der Ernährung verläuft Schritt für Schritt. Nach jedem Erfolg kann die Speisenpalette erweitert werden.
  • Der Bewohner sollte auf dünnflüssige Nahrungsmittel zunächst verzichten, da diese zu schnell durch den Mund fließen und schwerer zu kontrollieren sind.
  • Der Bewohner sollte bevorzugt breiige und nicht krümelnde Speisen zu sich nehmen wie etwa Joghurt oder Kartoffelbrei.
  • Es sollten keine festen und flüssigen Lebensmittel zu einem Gericht vermischt werden. Problematisch ist etwa eine Suppe mit Einlage.
  • Ggf. können Lebensmittel angedickt werden.
  • Passierte Kost wirkt optisch oft wenig ansprechend und kann daher Ekelgefühle auslösen.
  • Zum Trinken kann der Bewohner ggf. einen Strohhalm nutzen.
  • Der Bewohner sollte keine kohlensäurehaltigen Getränke zu sich nehmen, da diese den Hustenreiz auslösen können.

Essenanreichen

  • Der Bewohner sollte möglichst viele Handgriffe beim Essen selbst erledigen. Dieses wirkt sich fördernd auf die Speichelproduktion aus und wirkt schluckstimulierend.
  • Schon kleinste aspirierte Nahrungsmittel können eine Pneumonie auslösen. Bei entsprechend gefährdeten Bewohnern sollten daher nur erfahrene Pflegekräfte das Essen anreichen, keinesfalls Praktikanten, Zivildienstleistende oder Pflegeschüler.
  • Beim Essenanreichen wird es dem Bewohner ermöglicht, die angereichten Speisen kurz zu sehen und zu riechen. Das regt die Speichelproduktion und den Appetit an.
  • In jedem Fall muss sich der Bewohner auf die Konsistenz des nächsten angereichten Löffelinhaltes einstellen können. Er sollte also z.B. wissen, ob als nächstes ein Stück Fleisch oder Kartoffelbrei folgt.
  • Der Teller sollte in Reichweite des Bewohners aufgestellt werden. Der Bewohner sollte ihn sehen und ggf. festhalten können.
  • Der Bewohner sollte die Speisen nach Möglichkeit nicht im Liegen, sondern in aufrechter Position zu sich nehmen. Ggf. wird dafür das Kopfteil des Bettes aufgestellt.
  • Der Kopf darf beim Essenanreichen nicht überstreckt sein.
  • Wenn der Bewohner im Rollstuhl sitzt, sollten seine Füße den Boden berühren können.
  • Alle etwaigen Fixierungen müssen entfernt werden.
  • Vor dem Essen kann eine Nackenmobilisierung durchgeführt werden. Dabei wird der Kopf des Bewohners vorsichtig nach vorn und hinten, rechts und links sowie auf die Seite neigend bewegt. Die Normalisierung des Muskeltonus im Halsbereich kann die Beweglichkeit von Zungenbein und Kehlkopf steigern.
  • Es wird sichergestellt, dass der Bewohner ausreichend Zeit zum Kauen und zum Schlucken hat.
  • Die Nahrungsmittelmenge, die mit jedem Löffel angereicht wird, sollte nicht zu groß gewählt werden.
  • Der Löffel wird langsam in den Mund eingeführt und mit sanftem Druck auf der Zungenmitte abgesetzt. Sobald der Bewohner die Nahrung aufgenommen hat, wird der Löffel wieder behutsam aus dem Mund entfernt.
  • Bewohner mit Hemiplegie sollten jeden Löffelinhalt zunächst auf der gelähmten Seite kauen und danach auf der intakten.
  • Die Pflegekraft stellt sicher, dass der Bewohner regelmäßig eine Nachschluckbewegung durchführt. Diese dient der Reinigung des Rachens und ist bei neuronalen Schädigungen häufig verkümmert. Ggf. kann die Pflegekraft diese Bewegung mit einem sanften Druck gegen den Mundboden stimulieren oder den Bewohner gezielt zum Nachschlucken auffordern.
  • Der Bewohner wird regelmäßig daran erinnert, mit der Zunge Nahrungsreste aus den Backentaschen zu entfernen.
  • Die Pflegekraft überprüft während der Esseneingabe regelmäßig die Atmung und die Stimme des Bewohners (etwa durch die Frage, ob es schmeckt).
  • Trinkbecher sollten stets nur bis zur Hälfte gefüllt werden.
  • Dünnflüssige Speisen können alternativ nur teelöffelweise eingegeben werden, später ggf. in kleinen Schlucken aus einer Tasse.
  • Wir führen ggf. ein Schluckprotokoll. Hier werden vermerkt:
    • Menge und Art der Speisen
    • Häufigkeit, mit der sich der Bewohner verschluckte
    • Dauer des Esseneingebens
    • Datum und Uhrzeit
    • weitere Beobachtungen
  • Nach dem Essen sollte der Bewohner die aufrechte Sitzposition noch für mindestens 20 Minuten beibehalten.

testen und trainieren der Reflexe

Unverzichtbar ist es, bei gefährdeten Bewohnern vor jeder Esseneingabe den Schluck- und Hustenreflex zu testen.

  • Der Schluckreflex kann überprüft werden, indem die Pflegekraft den Zeige- und Ringfinger leicht auf den Kehlkopf legt. Nun wird der Bewohner aufgefordert, zu schlucken. Die Pflegekraft fühlt nun, ob und wie sich der Kehlkopf bewegt.
  • Falls der Bewohner nicht "auf Kommando" schlucken kann, ist es möglich, den Reflex manuell zu stimulieren. Ein Zahnspiegel oder ein Löffelstiel wird für einen kurzen Moment in Eiswasser getaucht. Nun tippt die Pflegekraft mit der Rückseite wiederholt auf den unteren Teil des vorderen Gaumenbogens.
  • Als Trainingsmaßnahme kann dieser Vorgang fünfmal täglich rund fünf Minuten durchgeführt werden. Dabei wird die Gaumenseite mehrfach gewechselt. Bei richtiger Anwendung ist es möglich, innerhalb weniger Wochen den Schluckreflex zumindest teilweise wieder herzustellen.
  • Der Hustenreflex wird geprüft, indem die Pflegekraft den Bewohner auffordert zu husten. Eine sinnvolle Methode, den Reflex extern zu stimulieren, gibt es nicht.

weitere Maßnahmen

  • In Kooperation mit externen Therapeuten und dem behandelnden Hausarzt führen wir verschiedene Trainingsmaßnahmen durch. Insbesondere:
    • Schlucktraining
    • Trinktraining
  • Wenn sich der Bewohner verschluckt, werden die Maßnahmen durchgeführt, die im Standard "Aspirationsprophylaxe / Erste Hilfe bei Aspiration" beschrieben sind.
  • Wir regen ggf. eine fachärztliche Untersuchung an. Insbesondere:
    • Röntgenuntersuchung
    • neurologische Untersuchung
    • internistische Untersuchung
    • zahnärztliche oder kieferorthopädische Abklärung
    • HNO-ärztliche Untersuchung
    • psychosomatische Abklärung

Nachbereitung:

  • Nach jedem Essen wird eine Mundpflege durchgeführt.
  • Alle Beobachtungen, insbesondere beim Essenanreichen, werden dokumentiert. Ggf. wird der Zustand des Bewohners bei einer Fallbesprechung thematisiert.
  • Wir prüfen regelmäßig, ob unsere Pflegemaßnahmen erfolgreich waren. Wichtige Kriterien dafür sind:
    • Zustand des Mund- und Rachenraumes
    • Fähigkeit des Bewohners zu schlucken
    • Atmung
    • Ernährungszustand
    • Gewicht / BMI
    • allgemeines Wohlbefinden
    • Kooperationswillen des Bewohners

Dokumente:

  • Pflegebericht
  • ärztliches Verordnungsblatt
  • Pflegeplanung

Verantwortlichkeit / Qualifikation:

  • alle Pflegekräfte
  • alle Mitarbeiter des Hauswirtschaft